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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Mezzogiorno
sollte zur gewaltigen Quelle dessen werden, was ein Kommentator als »staatliches Parasitentum und organisierte Verschwendung« bezeichnete. »Staatsinvestitionen« wurden im Süden in Wahrheit zum Treibstoff einer durchorganisierten Vetternwirtschaft. Sowohl in der Landesregierung als auch in den nationalen Ministerien drängten »junge Türken« in neue und alte Posten. Journalisten der damaligen Zeit bezeichneten die
Democrazia Cristiana
als »weißen Wal« (Moby Dick), weil sie weiß (d.h. katholisch), groß und langsam war und alles fraß, was ihr in den Weg kam.
    In Palermo war es schlicht die Kontrolle über die Baugenehmigungen, die »jungen Türken« wie Lima und Ciancimino und ihren Freunden von der Mafia einen so großen Anteil am Bauboom verschaffte.
    Am schnellsten und brutalsten vollzog sich die Plünderung Palermos in der Piana dei Colli, einem flachen Landstrich, der sich vom Stadtrand Palermos bis zur Hügelkette im Norden erstreckte. In dieser Gegend herrschte schon immer eine »große Mafiadichte«, wie es im Fachjargon italienischer Mafiaforscher heißt; sie gilt als die Wiege der Organisation, in ihren schönen Zitrusgärten entwickelten die ersten Mafiosi ihre Erpressungsmethoden. Ein Jahrhundert später begrub die Mafia ihren Geburtsort unter einem Leichentuch aus Beton. Das Ausmaß der Vernichtung war gewaltig. Das »liebliche fruchtbare Tal« der Conca d’Oro, von dem Goethe geschwärmt hatte, wurde zu einem undifferenzierten Brei protziger Wohnblocks, ohne Bürgersteige und ohne gestalterische Struktur.
    1971 , als die Plünderung Palermos vollzogen war, kletterte ein Journalist auf den Monte Pellegrino, den großen Felsbrocken, der zwischen der Piana dei Colli und dem Meer aufragt. Der Ausblick war einmal atemberaubend gewesen. Jetzt war er schockierend.
    »Von dort oben hat man die gesamte Stadt und die Conca d’Oro im Blick. Palermo wirkt viel größer, als man meinen könnte: Lange Häuserzeilen streben aus der Peripherie auf die Orangengärten zu. Der Beton hat eines der schönsten Naturschauspiele der Welt zerstört. Die riesigen identischen Wohnblocks wirken wie aus einem Guss. Und der trägt die Handschrift von ›Don‹ Ciccio Vassallo. Über 25  Prozent des neuen Palermo gehen auf sein Konto.«
    Francesco Vassallo alias »Don Ciccio« oder »König Beton« war die bei weitem wichtigste Figur im Bauboom Palermos der sechziger Jahre. Zwischen 1959 und 1963 vergab der Stadtrat von Palermo unter den »jungen Türken« Salvo Lima und Vito Ciancimino 4205  Baugenehmigungen, 80  Prozent davon an nur fünf Männer, die sich allesamt als Strohmänner herausstellten. Einer der fünf arbeitete später als Hausmeister im selben Häuserblock, den er nominell selbst errichtet hatte. Hinter den fünf Namen stand meistens Don Ciccio Vassallo.
    Der Betonkönig war ein fetter, kahlköpfiger Mann mit Hängebacken, einer langen Nase, dunklen Schatten unter den Augen und einer Vorliebe für zeltartige Anzüge und schrille Krawatten. Er entstammte sehr einfachen Verhältnissen aus der Ortschaft Tommaso Natale, einer
borgata
am nördlichen Ende der Piana dei Colli. Als viertes von zehn Kindern eines Fuhrknechts war er angeblich kaum zur Schule gegangen. Polizeiberichten zufolge hatte sich der junge Vassallo bereits sehr früh in Mafiakreisen bewegt; sein Vorstrafenregister aus dieser Zeit beinhaltete Raub, Gewalttätigkeit und Betrug. Doch die meisten Verfahren gegen ihn endeten mit einer Bewährungsstrafe, einem Straferlass oder einem Freispruch mangels Beweisen. 1937 war, durch die Heirat mit der Tochter des Landbesitzers und Mafiosos Giuseppe Messina, sein Platz im Einflussbereich der örtlichen Mafia festzementiert. Mit der Macht der Familie Messina im Rücken erlangte seine Firma ein Monopol über die Verteilung von Fleisch und Milch in der Gegend um Tommaso Natale. Vassallo und die Messinas beteiligten sich während des Krieges auch am Schwarzhandel. Nach Kriegsende gründete Vassallo ein Transportunternehmen, um Baumaterialien auf Pferdewagen zu den örtlichen Baustellen zu karren. Seine Mafiaverwandten waren stille Teilhaber der Firma, wie bei den vielen lukrativen Immobiliengeschäften, die in späteren Jahren folgen würden.
    1952 ging es mit Vassallos Firma plötzlich steil bergauf. Aus dem Nichts bemühte er sich erfolgreich um den Bau einer Kanalisation in Tommaso Natale und dem benachbarten Sferracavallo. Er hatte keinerlei Erfahrung im Baugewerbe, stand auch erst zwei

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