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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Journalisten andeuteten, es gebe in der Stadt möglicherweise ein Mafiaproblem. Gleichzeitig wurden allzu eifrige Polizisten kurzerhand in andere Landesteile versetzt. Ein Boss, dessen Telefon angezapft worden war, sagte während eines Gesprächs: »Wir sind hier die Wurzel von allem, verstanden?«
    Bemerkenswerterweise musste Bardonecchia bis zum Jahr 1969 auf seinen ersten Mafiamord warten. Von 1970 bis 1983 sollten 44 weitere Todesfälle folgen. Am 23 . Juni 1983 bewies die ’Ndrangheta erneut, wie brutal sie zuschlagen konnte. Kurz vor Mitternacht führte Bruno Caccia seinen Hund spazieren, als sich ihm in einem Wagen zwei Männer näherten; sie gaben 14  Schüsse auf ihn ab, ehe sie aus dem Fahrzeug stiegen und ihm drei Gnadenschüsse verpassten. Caccia war ein aufrechter Ermittlungsrichter gewesen, der sich jedem Dialog mit dem mittlerweile kompromisslosen Machtsystem der ’Ndrangheta verweigert hatte.
    Es ist unwahrscheinlich, dass der Ausbreitung der Mafias im Norden eine großartige Strategie zugrunde lag. Rocco Lo Presti, der ’Ndranghetista, der die Machtübernahme seiner Organisation in Bardonecchia während des Baubooms der sechziger Jahre geleitet hatte, war seit Mitte der fünfziger Jahre dort ansässig gewesen. Er war offenbar als bescheidener Wanderarbeiter gekommen, allerdings einer mit furchterregenden Verwandten. Er war weniger an einer Arbeitsstelle interessiert gewesen als an der Verbreitung gefälschter Banknoten. Ab diesem Zeitpunkt waren Mafiosi aus vielen Gründen in den Norden gekommen: um sich vor der Polizei oder vor Feinden zu verstecken, um temporäre Drogenumschlagplätze zu errichten, um ihre illegal erworbenen Einkünfte in aller Ruhe zu waschen und anzulegen oder um aus kriminellen Geschäften Kapital zu schlagen, die ihnen Pioniere wie Rocco Lo Presti erschlossen hatten. Die großangelegte Kolonialisierung einer Gemeinde wie Bardonecchia schuf ein Beispiel, dem man auch andernorts folgte. In einem angezapften Telefonat war zu hören, wie ein Freund Rocco Lo Prestis Letzterem verbal auf die Schultern klopfte: »Bardonecchia ist kalabrisch«, sagte er. Kurioserweise waren viele Unternehmer, Verwaltungsbeamte und Politiker, die dazu beigetragen hatten, dass Bardonecchia kalabrisch wurde, ebenso piemontesisch wie Barolo und
agnolotti
.
     
    Auf politischer Ebene betraf das Problem des organisierten Verbrechens Nord- und Mittelitalien so sehr wie den Süden. Bald nach der Einigung Italiens im Jahre 1861 mussten Koalitionsregierungen in Rom Scharen von Anhängern unter den Parlamentariern aus dem Süden rekrutieren; und Parlamentarier aus dem Süden – zumindest einige – beauftragten Gangster, für sie auf Stimmenfang zu gehen. Doch nach dem Wirtschaftswunder, hauptsächlich aufgrund der Unterwanderung der Bauindustrie, wurden die Mafias auf zwei dramatisch neuen Wegen zum nationalen Problem. Einerseits wurde der Norden, wie erwähnt, zum Schauplatz für die Machenschaften süditalienischer Ganoven. Andererseits wurde der Süden zum Schauplatz einer Kooperation zwischen norditalienischen Großunternehmen und den Mafias. Zum Beispiel pflegten Firmen aus dem industrialisierten Norden auch freundlichen Umgang mit der ’Ndrangheta in Kalabrien, wo sich das Geschäft mit dem Beton sogar als noch lukrativer erwies als im Piemont.
    In den sechziger Jahren wurde ein großes Straßenbauprogramm initiiert. Sein Aushängeschild war die sogenannte
Strada del sole
, die der Länge nach durch Italien führte. An den letzten Streckenabschnitt dieser Autobahn – 443  Kilometer zwischen Salerno und Reggio Calabria – knüpften sich große Hoffnungen: Hundert Jahre nach der Einigung Italiens wäre mit der
Salerno–Reggio Calabria
endlich der Anschluss des Südens an das nationale Straßennetz vollzogen. Großartige Ingenieursleistungen wären erforderlich, um der abweisenden Geologie der Region zu trotzen: nicht weniger als 55  Tunnel und 144  Viadukte, von denen einige mehr als 200  Meter über der bewaldeten Talsenke schwebten.
    Heute ist die
Salerno–Reggio Calabria
berüchtigt – ein Wunder an chaotischer Planung, Klientelpolitik und gebrochenen politischen Versprechen. Fast ein halbes Jahrhundert nachdem der Bau begonnen wurde, ist er noch immer nicht fertiggestellt. Anstatt die logischere und direktere Route entlang der Küste zu nehmen, führt die
Salerno–Reggio Calabria
umständlich landeinwärts, durch die Wahlkreise längst vergessener Minister. Zuweilen scheint der einzige

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