Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Zigaretten, als Schwarzhändler aus eigenem Recht. Ehrenmänner aus unterschiedlichen Familien bildeten Schmugglerringe, so oft sich ihnen die Gelegenheit bot. Noch komplizierter wurde das Ganze aufgrund der unvermeidlichen Zusammenarbeit mit Nichtmafiosi, die weniger verlässlich und nicht den Regeln der Mafia unterworfen waren. Männer wie »den Irren« Zaza in die Organisation aufzunehmen, war keine zufriedenstellende Lösung des Problems.
    »Der Irre« hatte eindeutig nicht dasselbe strenge Auswahlverfahren durchlaufen wie die kriminelle Elite Palermos, und er musste gelegentlich an die Selbstdisziplin erinnert werden, die jetzt, da er ein Ehrenmann war, von ihm erwartet wurde. Einmal wurde er dabei ertappt, wie er im Kasino eines Luxushotels auf der Insel Ischia um hohe Geldsummen zockte. Der Boss aus Catania, Pippo Calderone, einer seiner Partner im Zigarettengeschäft, erinnerte ihn wütend daran, dass ein Mitglied der Cosa Nostra mit ostentativem Glücksspiel in dieser Größenordnung gegen die Regeln verstieß.
    »Der Irre« und andere Schmuggler besaßen innerhalb der Cosa Nostra keinen guten Ruf. Tommaso Buscetta zufolge hatten sie eine »Betrügermentalität« und neigten zur Verschlagenheit. Das war natürlich kein ausschließlich neapolitanischer Charakterzug. Es ist wahrscheinlich, dass
’o Pazzos
Gleichmut gegen die Cosa Nostra ihn für Ehrenmänner, die ebenso verschlagen waren wie er und mehr wollten als den Frachtanteil, der ihnen zustand, zum perfekten Komplizen ebenso wie zum perfekten Sündenbock machte.
    So trug das Mafia-Camorra-Zigaretten-Oligopol schon bei seiner Entstehung die Narben wechselseitiger Verdächtigungen. Einige Jahre später sollte deutlich werden, dass die Spannungen im Tabakschmuggelgeschäft auch
innerhalb
der Cosa Nostra Risse verursacht hatten, die sich zum blutigsten Konflikt in der Geschichte der Mafia auswachsen würden.
    Doch 1978 verlangsamte sich der Tabakschmuggelboom, weil ein internationales Abkommen es den Behörden nunmehr erlaubte, Schmuggler bis in internationale Gewässer zu verfolgen. Die Menge an beschlagnahmten Zigaretten erreichte in diesem Jahr einen Höhepunkt. Das Misstrauen der Mafiosi untereinander sowie zwischen Mafiosi und Camorristi beendete das Oligopol. Bezeichnenderweise hatte unterdessen mit Heroin ein neues, gewinnträchtigeres und weitaus mehr Zwietracht säendes Kapitel in Italiens Gangstergeschichte begonnen.
    Schließlich gibt es auch noch einen Nachtrag zur Geschichte von Concetta Muccardo, der Zigarettenverkäuferin aus Forcella, die im Film
Gestern, heute und morgen
von Sophia Loren dargestellt wurde. Am 27 . Juni 1992 wurde sie im Alter von 67  Jahren verhaftet, nachdem sie in einer Türöffnung im Sanità-Viertel Heroin verkauft hatte; hinter der Tür fand die Polizei weitere 50  Päckchen Heroin sowie 350 000  Lire ( 2011 etwa 280  Euro). Das Rauschgift war längst über dieselben Kanäle nach Italien gelangt, die früher für Schmuggelzigaretten genutzt worden waren.
    Die »Pilzesammler« vom Montalto
    Unterdessen in Kalabrien …
    Wie wir gesehen haben, war die ’Ndrangheta mittlerweile in die Bauindustrie der sechziger Jahre eingestiegen. Die lange Küstenlinie Südkalabriens bot zudem zahlreiche geschützte Stellen, wo man kistenweise Schmuggelzigaretten abladen konnte. Genau wie in Sizilien und Kampanien schuf das Geld, das mit dem Beton und dem Tabak ins Land strömte, ein neues politisches Klima im organisierten Verbrechen Kalabriens.
    1969 bot sich den Justizbehörden ein seltener Einblick in die Innenpolitik der kalabrischen Mafia, nachdem die Polizei während des alljährlichen Treffens der ’Ndrangheta auf dem Aspromonte eine großangelegte Razzia veranstaltet hatte. Das Ereignis brachte zum ersten Mal seit der »Invasion der Marsianer« 1955 die unauffälligste Mafia Italiens für kurze Zeit in die Schlagzeilen. Die Geschichte dieser Razzia von 1969 und das nachfolgende Gerichtsverfahren geben uns Einblick in einen entscheidenden Prozess politischer Veränderungen, der sich innerhalb der kalabrischen Unterwelt vollzog. Außerdem zeigt er anschaulich, welches Bild die italienische Justiz von den kriminellen Sekten in Kalabrien und Sizilien in einer Phase hatte, in der sie immer reicher und gefährlicher wurden.
     
    Mit seinen fast 2000  Metern ist der Montalto die höchste Erhebung auf dem Aspromonte. Von hier aus hätte eine Statue von Christus, dem Erlöser – wäre sie imstande, sich um die eigene Achse zu