Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
Vom Netzwerk:
finsterer als erwartet.
    Absolution für die Camorra
    Im Sommer des Jahres 1860 trat Garibaldi seinen Siegeszug an, und so wurde das Königreich beider Sizilien dank dieser mustergültigen Unternehmung patriotischen Heldenmuts endlich dem Königreich Italien einverleibt. In Neapel schrieb man in scharfem Galopp Geschichte, so dass den Journalisten kaum genug Zeit blieb, näher auf die Ereignisse einzugehen, die sie sahen oder hörten. Es war eine Zeit, in der schier alles möglich schien, und somit eine Zeit für Berichte. Die Erklärungen mussten warten.
    Mit Bestürzung nahm man in Neapel die Nachricht entgegen, dass Garibaldi und seine tausend patriotischen Rothemden auf Sizilien gelandet waren. Am 11 . Mai 1860 verkündete die offizielle Zeitung, Garibaldis »Freibeuter« seien in Marsala einmarschiert. Ende des Monats hieß es bereits, die Aufständischen hätten die sizilianische Hauptstadt Palermo eingenommen.
    Der schwächliche junge König Franz  II . war erst ein knappes Jahr im Amt. Als die
garibaldini
ganz Sizilien in ihre Gewalt gebracht hatten und im Begriff waren, auf dem italienischen Festland einzufallen und gen Norden zu ziehen, saß Franz zitternd in Neapel, während seine Minister sich zankten und Ränke schmiedeten.
    Erst am 26 . Juni erfuhren die Einwohner Neapels, wie die Bourbonenmonarchie auf die Krise zu reagieren gedachte. Früh am Morgen wurden entlang der größeren Straßen Plakate angebracht, die den Willen des Königs in einem
Atto Sovrano
, einem »Königlichen Beschluss«, kundtaten. König Franz hatte verfügt, dass das Königreich beider Sizilien fortan nicht mehr absolutistisch regiert werde, weil er den konstitutionellen Weg einzuschlagen gedenke. Eine Regierung, die auch liberal gesinnte Patrioten einbeziehe, habe sich bereits gebildet. Politischen Gefangenen sollte eine Amnestie gewährt werden. Und die Nationalflagge solle von nun an aus der italienischen Trikolore Rot, Weiß und Grün bestehen, gekrönt vom Wappen der Bourbonendynastie.
    Die Frühaufsteher, die am Morgen des 26 . Juni auf diesen
Atto Sovrano
stießen, hegten die Befürchtung, jemand könne sie beim Lesen beobachten: Es konnte sich schließlich auch um eine Provokation handeln, mit deren Hilfe man Liberale ans Licht zu bringen hoffte, als leichte Zielscheiben für die
feroci
. Doch binnen Stunden hatten die Neapolitaner die wahre Bedeutung der Plakate begriffen: Dieser Beschluss war der schwache, verzweifelte Versuch des Königs, an der Macht festzuhalten. Garibaldis triumphaler Siegeszug hatte Franz in eine aussichtslose Position gebracht, und der Bourbonenstaat geriet ins Wanken.
    Der Tag, an dem der Königliche Beschluss plakatiert wurde, war ein schlechter Tag für die Polizei in Neapel. Seit Jahren war sie als korruptes Werkzeug der Unterdrückung gefürchtet und verachtet worden. Jetzt, da es unweigerlich zu Straßenkämpfen kommen würde, waren die Beamten quasi Freiwild.
    Nachdem am Morgen die Plakate mit dem
Atto Sovrano
aufgetaucht waren, strömten die Menschen am Abend scharenweise aus den ärmsten Gassen in die Via Toledo, um die Polizei zu verhöhnen und auszupfeifen. Kaufleute zogen die Läden herunter und machten sich auf das Schlimmste gefasst. Ihre Angst war nicht unbegründet. Massenunruhen suchten Neapel mit jahreszeitlicher Regelmäßigkeit heim und gingen stets mit Plünderungen einher.
    Der Ärger begann am darauffolgenden Nachmittag. Zwei rivalisierende Proletariermeuten suchten Streit: Die Royalisten brüllten »Lang lebe der König«, während die Patrioten »Es lebe Garibaldi« skandierten. Eine farbenfrohe Gestalt, schwer zu übersehen im Gedränge, war Marianna De Crescenzo, die den Beinamen
la Sangiovannara
trug. Einem Bericht zufolge war sie »herausgeputzt wie ein Brigant«, mit Bändern und Wimpeln geschmückt. Ihren barschen Kommandorufen gehorchte eine Bande ähnlich gewandeter Frauen, die Messer und Pistolen gezückt hatten. Königstreue hatten den Verdacht, dass
la Sangiovannara
den Ärger mit billigem Fusel aus ihrer Schenke, garniert mit einer großen Portion umstürzlerischer Propaganda, angefacht hatte.
    In der Via Toledo gerieten zwei Polizeistreifen zwischen die beiden Parteien. Als ein Inspektor den nicht durchsetzbaren Befehl erteilte, die Leute zu entwaffnen, kam es zum Handgemenge. Einige Schaulustige hörten Schüsse. Nach einem Gefecht war die Polizei zum Rückzug gezwungen. Nur das Eintreffen einer berittenen Truppe verhinderte, dass die Situation weiter

Weitere Kostenlose Bücher