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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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eskalierte.
    Der Zusammenstoß forderte zwei berühmte Opfer: Das erste war der französische Botschafter, der in seiner Droschke die Via Toledo entlangfuhr, als er überfallen und verprügelt wurde. Obwohl er überlebte, fand niemand je heraus, wer für den Angriff verantwortlich war.
    Das zweite Opfer war Giuseppe D’Alessandro aus Aversa, der ehemalige Patriot, der sich von der Camorra hatte anheuern lassen, dann Auftragskiller für die Bourbonen und schließlich Polizist geworden war. Er war während des Aufstands durch einen Messerstich verletzt und auf dem Weg zum Krankenhaus auf seiner Trage erschlagen worden. Der Mord war zweifellos im Voraus geplant gewesen, doch auch in diesem Fall blieben die Schuldigen unerkannt.
    Alle glaubten, dies sei erst der Auftakt, der richtige Schrecken käme erst noch. Viele Polizisten, das Schlimmste befürchtend, rannten um ihr Leben. Niemand vermochte dem Pöbel Einhalt zu gebieten. Organisierte Banden, bewaffnet mit Musketen, Stockdegen, Dolchen und Pistolen, suchten nacheinander alle zwölf Polizeireviere der Stadt auf, traten die Türen ein, schleuderten Akten und Mobiliar aus den Fenstern und entzündeten große Scheiterhaufen in den Straßen.
    Die neapolitanische Polizei existierte nicht mehr.
    Doch am Nachmittag lag eine seltsame Ruhe über der Stadt. Der Korrespondent der
Times
wagte sich vor das zerstörte Polizeirevier des Stadtviertels Montecalvario. Dort fand er zu beiden Seiten des Eingangs die Worte » TOD DEN POLIZISTEN ! und » WEGEN TODESFALL GESCHLOSSEN !« hingekritzelt. Diese gruseligen Schlagworte entsprachen jedoch nicht dem tatsächlichen Geschehen. Ein Zeuge nach dem anderen berichtete, wie unerwartet friedlich, geordnet und sogar verspielt die Szenen der Zerstörung gewesen seien. Zwar mischte der Pöbel die wenigen Polizisten auf, deren er habhaft werden konnte. Doch anstatt die Uniformierten aufzuknüpfen, überbrachte man sie der Armee. Der Reporter der
London Daily News
schrieb vor Ort, er sei ungeachtet der Gerüchte, die besagten, dass viele Polizisten ermordet worden seien, außerstande gewesen, auch nur ein Todesopfer auszumachen. Rings um die Scheiterhaufen aus Polizeiinventar wurde gejubelt, gelacht und getanzt: Gassenjungen zerschnitten Polizeiuniformen und verteilten die Fetzen als Andenken. Es war weniger ein Aufruhr als ein Straßentheater.
    Das Stichwort für die neapolitanische Camorra, auf die Barrikaden zu gehen. In hilfloser Verzweiflung erließ König Francesco  II . des Königreichs beider Sizilien am 25 . Juni 1860 den
Atto Sovrano
.
    Am meisten überraschte die Tatsache, dass nicht geplündert wurde. Bei anderen Gelegenheiten hatte sich, sobald Neapel von politischen Unruhen erschüttert worden war, ein räuberischer Pöbel aus der Unterstadt erhoben. Diesmal jedoch händigten Aufständische aus denselben Elendsvierteln jeden Groschen, jeden Wertgegenstand, den sie fanden, einem der Armeeoffiziere oder Pfarrer aus, was doch höchst eigenartig war. Während sie von einem Ziel zum nächsten durch die Straßen zogen, riefen sie den Kaufleuten, die hinter ihren Läden hervorlugten, beschwichtigend zu: »Warum verriegelt ihr eure Geschäfte? Wir wollen nicht stehlen. Wir wollen nur die Polizisten vertreiben.« Laut Aussage des Korrespondenten der
Times
hatte ein Mann mehrere Uhren aus einer verwüsteten Polizeidienststelle geholt. Doch anstatt sie einzustecken, warf er sie ins Feuer, das im Freien brannte: »Niemand soll behaupten können, ich hätte sie gestohlen«, verkündete er.
    Es waren seltsame Tage, und es sollte noch seltsamer kommen. Am Abend, bevor die Polizeistationen auf so spielerische Weise überfallen worden waren, hatte König Franz  II . einen neuen Polizeipräfekten ernannt, einen Juristen mit Namen Liborio Romano.
    Wie Herzog Sigismondo Castromediano und der Ökonom Antonio Scialoja war auch Liborio Romano zu Beginn der 1850 er Jahre aufgrund seiner liberalen, patriotischen Gesinnung ins Gefängnis geworfen worden. Doch da er bereits auf die sechzig zuging und zudem an qualvoller Gicht litt, hatte man ihn bereits 1852 wieder entlassen; 1854 durfte er dann nach Neapel zurückkehren, nachdem er einen Loyalitätseid auf die Krone unterzeichnet hatte. Romano war der Bourbonenmonarchie nun aufgrund einer Ehrenschuld verpflichtet. Im Juni 1860 , als König Franz nach harmlosen Patrioten suchte, um ihnen Positionen im liberalen Kabinett zuzuweisen, wie er es im Königlichen Beschluss, dem
Atto Sovrano
, angekündigt

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