Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Stadt und zudem eine verlässliche Einnahmequelle. Verlässlich, aber fade. Monniers eigentliche Leidenschaft galt der Schriftstellerei, besonders dem Drama. Mitte der 1850 er Jahre bekannte er sich zum Patriotismus und machte es sich zur Aufgabe, als Journalist dem Rest der Welt Italien zu erklären. Die Geschichte der Einigung Italiens war für ausländische Beobachter und noch mehr für die Italiener selbst inspirierend und verwirrend zugleich. Monnier, der das Land sowohl aus einheimischer wie auch aus ausländischer Sicht zu betrachten vermochte, stellte für Italiener und Ausländer gleichermaßen eine verlässliche Quelle dar.
Sein Werk
La Camorra
erschien 1862 . Als Handbuch zum besseren Verständnis der Ehrenwerten Gesellschaft Neapels im 19 . Jahrhundert ist es nach wie vor unübertroffen. Eine Schlüsselaussage im Buch stammt von einem der Patrioten, die nach Neapel heimgekehrt waren, um im Geheimen den Sturz der Bourbonenmonarchie vorzubereiten. Viele dieser Verschwörer waren Mitglieder der Untergrundsekte »Ordnungskomitee« (dieser Name sollte die wahren Absichten der Verschwörer vertuschen). Monnier kannte sie gut, weil sie ihre Treffen auch im Hôtel de Genève abzuhalten pflegten. So wusste Monnier auch, dass zwischen den Streitern für ein geeintes Italien und der Camorra seit den 1850 er Jahren ein geheimer Pakt bestand.
Unsere erste Lektion in neapolitanischer Politik ist daher die folgende: Während einige Patrioten von der Gefängnis-Camorra verfolgt wurden und andere sie im Exil als schlimmste Ausgeburt der schäbigen Bourbonentyrannei schmähten, hatten wieder andere in Neapel mit den Gangsterbossen eine Übereinkunft getroffen.
Doch weshalb in aller Welt sollte das »Ordnungskomitee« mit den Ganoven der Camorra paktieren? Weil seine Mitglieder aus der neapolitanischen Geschichte gelernt hatten. Unzählige Male hatten die Bourbonen, um sich vor Veränderungen zu schützen, die Armen der Stadt für ihre Zwecke eingespannt: Agitatoren wurden mit Geld überhäuft und angewiesen, den Pöbel auf politische Gegner zu hetzen. Politische Revolutionen scheiterten, solange sie die Straßen nicht kontrollierten. Die Camorra war organisiert, gewalttätig und in denselben Gassen verwurzelt, die die berüchtigten Pöbelhaufen hervorbrachten. Mit Unterstützung der Camorra – oder zumindest einem wesentlichen Teil davon – konnten die Patrioten Neapel erobern und somit den gesamten Süden. Das Ordnungskomitee ging also daran, mit der Polizei der Bourbonen um die Freundschaft der Camorra zu buhlen.
Nicht alle patriotischen Anführer waren mit dieser machiavellistischen Taktik einverstanden. Und beileibe nicht alle Camorristi. Doch die Aussicht auf ein Bündnis zwischen Patrioten und Ganoven weckte echte Ängste bei der Bourbonenobrigkeit. Im Oktober 1853 berichtete die Polizei (selbst natürlich von Camorristi unterwandert), dass die Liberalen versuchten, »ihre Mitglieder aus einem bösartigen Pöbelhaufen, den sogenannten Camorristi, anzuwerben«. Auf der Liste der politisch verdächtigen Camorristi stand auch Salvatore De Crescenzo: der Boss, dessen »Absolution« sieben Jahre später Schlagzeilen machen würde.
Marc Monnier erfuhr von dem Pakt zwischen dem Ordnungskomitee und der Ehrenwerten Gesellschaft durch einen Informanten, den er immer nur als »neapolitanischen Herrn« bezeichnete. Dieser neapolitanische Herr erzählte Monnier, er habe sich Mitte der 1850 er Jahre selbst mit führenden Camorristi am nördlichen Stadtrand getroffen. Er habe sie kommen sehen, einen nach dem anderen, wobei ein jeder, den Hut tief ins Gesicht gezogen, sich mit demselben Signal angekündigt habe: einem Schnalzen der Lippen, ähnlich einem Kuss.
Der neapolitanische Herr berichtete weiter, dass sein erstes Treffen mit den Anführern der ehrenwerten Gesellschaft schlimm begonnen habe und sehr bald noch schlimmer geworden sei. Die Camorristi hätten ihn zunächst heftig gescholten: Er und seine gutgekleideten, wohlerzogenen Freunde hätten die Bedürfnisse der armen Leute ignoriert. Der »heilige Pöbel«, sagten sie, habe nicht die Absicht, Leute wie ihn, die längst reich seien, die Früchte der Revolution allein ernten zu lassen. Nach dieser Verbalattacke hätten die Camorristi sich dem Geschäftlichen zugewandt. Es sei Geld vonnöten, um eine patriotische Revolte gegen die Bourbonen zu entfachen, sagten sie. Viel Geld. Und dann forderten sie für den Anfang 10 000 Dukaten pro Kopf. Auf die Gegenwart ( 2011
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