Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Reggio Calabria beinhaltet, der ionischen Küste, die auf das Mittelmeer blickt, und der tyrrhenischen Küste beziehungsweise der Stiefelspitze, die auch die Ebene Gioia Tauro umfasst – das größte und fruchtbarste Tiefland der Region.
In den sechziger Jahren hatte ein Triumvirat – jeweils ein Boss aus jedem der drei Territorien – großen Einfluss auf die Angelegenheiten der ’Ndrangheta. Zwei Männern sind wir bereits in Richter Marinos Ausführungen zum Montalto-Treffen begegnet. Der Erste war der ehrenwerte, Tarantella tanzende Don ’Ntoni Macrì aus Siderno, der Gangsterpatriarch, dessen Autorität sich auf die gesamte ionische Küste erstreckte und der ein »lebendes Symbol für die Allmacht und Unbesiegbarkeit des organisierten Verbrechens« war. Der Zweite im Bunde war der Bigamist Mico Tripodo, dessen Macht sich auf die Stadt Reggio Calabria und deren Randbezirke konzentrierte.
Der dritte Boss war weder anwesend noch wurde er auf dem Montalto-Treffen erwähnt (eine Tatsache, die an sich schon auf Spannungen innerhalb der Organisation verwies). Sein Name war Don Girolamo Piromalli, genannt »Mommo«. Piromalli war der oberste Boss in der Ebene von Gioia Tauro, wo an der Strada del Sole gebaut wurde. Ungefähr im selben Alter wie Mico Tripodo, war auch Piromalli ein Tabakschmuggler im großen Stil, der in die Cosa Nostra aufgenommen worden war.
Mommo war das älteste von sieben Kindern, fünf davon Jungen. Sein Vater Gioachino, der 1956 gestorben war, war der Begründer einer breit gefächerten Genealogie. In den 1960 er Jahren waren die Piromallis bereits damit befasst, ihre führende Rolle in der Ebene von Gioia Tauro zu festigen, indem sie in deren wichtigste ’Ndrangheta-Blutlinien einheirateten. In der Provinz Reggio Calabria, wo die ’Ndrangheta sich immer intensiver der neuen wirtschaftlichen Möglichkeiten bediente, wurde das Spinnennetz der verwandtschaftlichen Beziehungen größer und dichter.
Gemeinsam garantierten die drei Bosse des Triumvirats, dass in der kalabrischen Gangsterwelt ein »gewisses Gleichgewicht« herrschte, wie ein
’
Ndranghetista es nannte – ein Gleichgewicht, das mit zunehmendem Reichtum der Mitglieder immer empfindlicher wurde.
Die Koordination zwischen den einzelnen territorialen Zellen der italienischen Verbrecherorganisationen ist nicht neu. Sie war von Anfang an ein integraler Bestandteil der Mafialandschaft. Sogar die traditionellsten kriminellen Angelegenheiten funktionieren tendenziell besser, wenn Mafiosi aus verschiedenen Territorien kooperieren: beim Stehlen von Vieh, beim Verstecken von Flüchtigen, beim Ausborgen von Killern und so weiter. Und so wurden mit den neuen Geschäftsfeldern des kriminellen Wirtschaftswunders die Vorteile der Kooperation noch größer. Der kalabrische Streckenabschnitt der
Strada del Sole
ist ein passendes Beispiel, zumal er zahlreiche ’Ndrangheta-Gebiete entlang der tyrrhenischen Küste durchschnitt. Wie ein ranghoher Carabiniere 1970 bemerkte: »Es gibt immer jemanden, der gegen das Monopol einiger
cosche
aufbegehrt, sich Dynamit besorgt und es in eine Betonmischmaschine, unter einen Bagger oder Lkw legt.«
Konflikte dieser Art sind für alle Betroffenen kostspielig. Eine bessere Zusammenarbeit zwischen den rivalisierenden Clans bringt daher große Vorteile. Der Ruf nach Einigkeit, der auf dem Montalto laut wurde, war ein Symptom dieser neuen Gegebenheit. Und diese Einigkeit wiederum erforderte konzentriertere Machtstrukturen. Die Autorität, die das Triumvirat innehatte, war eine Folge des Strebens nach größerer Zentralisierung. Mommo Piromalli ist dafür ein gutes Beispiel. In den siebziger Jahren gingen 55 Prozent der Nebenverträge für Erdbewegungs- und Transportarbeiten, die ein neuer Bauboom in der Ebene von Gioia Tauro abwarf, an seinen mächtigen Clan; der Rest ernährte weniger mächtige Gruppen in den angrenzenden Gebieten.
Die Cosa Nostra durchlief ähnliche Veränderungen, sie tendierte ebenfalls zu einer Konzentration der Macht. Wie wir bereits gesehen haben, schuf die sizilianische Mafia 1969 ein eigenes Triumvirat, das die Organisation nach den Dramen der sechziger Jahre umstrukturieren sollte. 1974 wurde das Triumvirat von einer Kommission abgelöst, die weitaus mächtiger war als jene, die 1963 aufgelöst worden war. Sie bestand aus etwa 16 der mächtigsten Bosse in der Provinz Palermo. Mit ihr erfuhr die Ehrenwerte Gesellschaft Siziliens eine Umstrukturierung von oben nach unten. Ganze
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