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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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nahm dauerhaften Schaden.
    Der Süden erfuhr die schockierendsten Auswirkungen dieser gefährlichen gesellschaftlichen Destabilisierung im Juli 1970 , als in der Stadt Reggio Calabria eine Revolte ausbrach. Demonstrationen zogen Strafanzeigen nach sich, die wiederum viele Menschen auf die Barrikaden trieben. Molotowcocktails kamen zum Einsatz, die ihrerseits Schüsse provozierten. Einige Tage nach Ausbruch der Revolte entgleiste unweit des Bahnhofs Gioia Tauro ein Zug. Sechs Passagiere kamen ums Leben. Es wurde gemutmaßt, dass ein Sprengsatz den Unfall verursacht hatte, und so wurden Truppen postiert, um die kalabrischen Gleise zu bewachen. In Reggio erfolgten Bombenanschläge auf das Transportwesen, außerdem wurden öffentliche Gebäude besetzt. Erst nach acht Monaten, als Panzer die Küste entlangrollten, endeten die Straßenkämpfe.
    Die Ursache für all die Gewalt war die Entscheidung, dass Reggio
nicht
Sitz der neuen kalabrischen Landesregierung werden sollte. Die Menschen in Reggio waren überzeugt, dass sich die Politiker der beiden anderen größeren Städte Kalabriens, Catanzaro und Cosenza, hinterrücks verbündet hatten, um die Vorteile der Landesregierung untereinander aufzuteilen. Oberflächlich betrachtet bedeutete dies, dass sich die Einwohner der drei ärmsten Städte Italiens um die vielen tausend Stellen im öffentlichen Sektor balgten, die durch den Status einer Landeshauptstadt geschaffen wurden. Doch die Ursachen für die Revolte in Reggio lagen weit tiefer. Angesichts der chronischen Arbeitslosigkeit und der seit Generationen andauernden Wohnungsnot hatte Reggios Einwohnerschaft durch Massenproteste dem Unmut über ihre politischen Vertreter Luft gemacht. Nationale Parteiführer waren bestürzt und verwirrt angesichts dieser Revolte, die offenbar von der breiten Masse getragen wurde. Sie war zunächst von örtlichen Dissidenten innerhalb der christdemokratischen Partei angezettelt und dann von einem Aktionskomitee übernommen worden, dessen Wortführer ein Aufwiegler des neofaschistischen
Movimento Sociale Italiano
war.
    Die Aussagen kalabrischer Mafiosi, die sich als Kronzeugen zur Verfügung stellten, geben Hinweise darauf, dass parallel zur Revolte von 1970 in Reggio ein krimineller Nebenschauplatz bestand. Im Sommer und Herbst des Vorjahres hatte Junio Valerio Borghese der Stadt Reggio im Vorfeld des Staatsstreichs, den er 1970 in Rom unternehmen würde, mehrere provokative Besuche abgestattet. Am 27 . Oktober 1969 organisierte er eine Kundgebung, die in einem Aufstand endete, nachdem eine kleine Bombe einen faschistischen Adler zerstört hatte, der noch aus der Zeit von Mussolinis erstem Besuch in der Stadt stammte. Später kam ans Licht, dass Neofaschisten selbst den Sprengstoff gelegt hatten, um Unruhen zu provozieren. Offenbar unterhielt Borghese zu dieser Zeit Kontakte zu Anführern der ’Ndrangheta. Möglicherweise wurde auf dem »Pilzesammler«-Treffen auf dem Montalto, das am Tag vor der Oktoberkundgebung stattgefunden hatte, über Vereinbarungen zwischen der ’Ndrangheta und Junio Valerio Borgheses Bewegung diskutiert. Auch sizilianische Mafiosi berichteten von Gesprächen mit Borghese im Vorfeld seines gescheiterten Putsches.
    Wir wissen nicht, ob es zwischen Borghese und der kalabrischen Mafia je zu einer Verständigung kam. Was wir jedoch sicher wissen, ist, dass ’Ndranghetisti halfen, die Barrikaden in Reggio zu bevölkern; dass ’Ndranghetisti das revolutionäre Aktionskomitee mit Waffen und Dynamit ausstatteten; und dass ’Ndranghetisti die Sprengkörper besorgt hatten, mit denen faschistische Terroristen den Zug bei Gioia Tauro zum Entgleisen brachten. Die ’Ndrangheta hatte demnach der Strategie der Spannung noch mehr Gewicht verliehen.
    Doch was um alles in der Welt hatten ’Ndranghetisti zu gewinnen, indem sie sich mit den Faschisten verbündeten oder die Revolte in Reggio unterstützten? Zum einen hatten auch sie ihre Gründe, gegen die Aussicht zu protestieren, dass das Privileg der Provinzhauptstadt einer anderen, weniger mafiaverseuchten Stadt zukommen sollte. Und noch einige andere Aspekte dieser zutiefst düsteren Angelegenheit scheinen sicher zu sein. Erstens erhielt die ’Ndrangheta mit der Revolte eine Gelegenheit, die Polizei in Misskredit zu bringen, die neuerdings eine schärfere Gangart gegenüber dem organisierten Verbrechen einschlug. Genaugenommen unterstützte nur ein gewisser Teil der ’Ndrangheta in Reggio Calabria die Aufständischen,

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