Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
2 , eine Geheimloge, deren Mitglieder Korruption und rechtsgerichtete, staatsgefährdende Gedanken pflegten und die bis ins Herz der etablierten Gesellschaft Italiens reichte. Als im März 1981 eine (vermutlich unvollständige) Mitgliederliste von P 2 gefunden wurde, entdeckte man unter den 962 aufgeführten Personen:
»(…) alle Leiter der Geheimdienste, 195 Offiziere aus den verschiedenen bewaffneten Korps der Republik, darunter zwölf Generäle der Carabinieri, fünf der
Guardia di Finanza
, 22 der Armee, vier der Luftwaffe sowie acht Admiräle. Außerdem stieß man auf hochrangige Richter, mehrere Präfekten und Polizeichefs, Bankiers und Geschäftsleute, Beamte, Journalisten und Fernsehsprecher.«
Auch 44 Parlamentarier standen auf der Liste, darunter drei Minister. Unter den genannten Geschäftsleuten war ein Unternehmer, der damals noch nicht zur etablierten Gesellschaft gehörte: Silvio Berlusconi. Es ist oftmals nicht klar, was für Aktionen sich einzelne Mitglieder wie Berlusconi tatsächlich von
Propaganda Due
versprachen. Doch die Macht der Loge steht außer Frage: 1977 übernahm sie die Kontrolle über Italiens einflussreichste Zeitung, den
Corriere della Sera
.
Propaganda Due
zeigte – und das ist noch das Harmloseste, was sich über sie sagen lässt –, wie angesichts des wachsenden Einflusses der Kommunistischen Partei (die bei den Wahlen von 1976 ihr bestes Ergebnis überhaupt erreichte) bedeutende Mitglieder der reichen und mächtigen Eliten den Schulterschluss übten und auf geheimen Wegen ihren Einfluss geltend machten.
P 2 war bei weitem nicht die einzige zweckentfremdete Freimaurerloge, die damals auftauchte. Mafiosi wollten auf den Zug aufspringen. Also unternahm die Cosa Nostra ähnliche Schritte wie die ’Ndrangheta. Laut Aussage einiger Überläufer aus den Reihen der sizilianischen Mafia traten zwischen 1977 und 1979 einige ihrer ranghöchsten Mitglieder ebenfalls Freimaurerlogen bei. Das Thema der Mitgliedschaft in einem Freimaurerbund wurde 1977 in der Regionalkommission der Cosa Nostra besprochen.
Mit der Verbindung zwischen den Mafiaorganisationen und der Freimaurerei in den siebziger Jahren schloss sich für die Unterwelt gleichsam ein Kreis. Denn die Ursprünge der kriminellen Geheimbünde Italiens lagen just in den Kontakten zwischen den freimaurerischen Verschwörern, die in der ersten Hälfte des 19 . Jahrhunderts die Einigung Italiens planten, und den Ganoven, die von den Patrioten als revolutionäre Schläger rekrutiert wurden. Damals wie heute waren es die Kontakte, die Italiens Ganoven an der Freimaurerei am meisten schätzten. Wie Leonardo Messina, ein sizilianischer Mafioso, der 1992 von der Cosa Nostra abgesprungen war, erklärte:
»Viele Männer der Cosa Nostra – nur Bosse, versteht sich – waren Freimaurer. In den Logen kamen sie mit Unternehmern, den Institutionen, den Mächtigen in Kontakt. Sie alle tummeln sich in Freimaurerlogen.«
Für die ’Ndrangheta war die
Mamma Santissima
also ein neues konstitutionelles Werkzeug, mit dessen Hilfe sie die Verbindungen der kalabrischen Unterwelt mit der Welt der Politik, der Wirtschaft und der Polizei regeln konnte.
Nach ihrer Einführung war die
Mamma Santissima
höchst umstritten: Vielen galt sie als Verfälschung der Regeln der Ehrenwerten Gesellschaft. Die Neuerung trieb in der Tat einen Keil zwischen die Mitglieder des Triumvirats. Mommo Piromalli befürwortete sie, Mico Tripodo war dagegen. Don ’Ntoni Macrì, der Patriarch der ’Ndrangheta und deren »lebendes Symbol der Allmacht und Unbesiegbarkeit«, galt als ein erbitterter Gegner.
Warum der Widerstand? Einige behaupten, Don ’Ntonis Hass gegen die
Mamma Santissima
sei schlicht damit zu begründen, dass er ein Traditionalist war, ein Mann, der treu an den alten Regeln festhielt. Diese Erklärung scheint mir nicht plausibel zu sein, sie trieft geradezu von der sentimentalen Sehnsucht nach irgendeiner guten alten Mafia, die in Wahrheit nie existiert hat. Wenn Don ’Ntoni tickte wie all die anderen Mafiosi, dann befolgte er die traditionellen Regeln nur, solange sie seinen Zwecken dienten.
Nein, der wahre Grund, warum Don ’Ntoni Macrì die
Mamma Santissima
ablehnte, war schlicht die Tatsache, dass er davon ausgeschlossen war. Ich vermute sogar, dass die neue »Gabe« eigens erfunden wurde, um ihn von wichtigen Geheimnissen fernzuhalten. Das Manöver sollte Don ’Ntoni daran hindern, sich in die Entführungsangelegenheiten anderer einzumischen
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