Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
) übertragen, hatten die Bosse für ihren Beitrag, die Bourbonenmonarchie zu Fall zu bringen, etwa 125 000 Euro pro Person verlangt.
Stotternd beschwor der neapolitanische Herr die Camorristi, sich eine weniger materialistische Haltung anzugewöhnen, doch vergeblich. Die Patrioten kamen daher überein, die Camorra zu bezahlen. Und so erhielt jeder Boss regelmäßige Zahlungen, deren Höhe sich nach der Anzahl der Männer unter seinem Kommando richtete.
Wie sich herausstellte, war das Engagement der Camorra für die bevorstehende Revolution weniger als halbherzig. Sie verliehen ihren Anhängern Rangabzeichen, als wären sie Angehörige einer Armee, und schmückten große Pergamente mit der Losung der Patrioten: ORDNUNG . Doch irgendwie verpassten sie den Absprung von den Vorbereitungen zur tatsächlichen Revolte. Ihr Interesse galt eher der Erpressung ihrer patriotischen Mitverschwörer, denen sie drohten, ihr Vorhaben der Bourbonenpolizei zu verraten, falls sie nicht mehr Geld bekämen.
Es sah düster aus für die Patrioten in Neapel, bis sich 1859 , mit Vollendung der ersten Etappe der italienischen Einigung im Norden, die Situation schlagartig änderte. Plötzlich wirkte das Königreich beider Sizilien im Süden sehr verletzlich. Das Bündnis zwischen der Bourbonenpolizei und den Straßenganoven zerbrach im neuen Klima der Angst. Im November 1859 ordnete die Regierung eine große Jagd auf Camorristi an, und viele von ihnen, einschließlich Salvatore De Crescenzo, wurden auf Gefängnisinseln vor der italienischen Küste verbannt.
Die Camorrabosse – zumindest einige von ihnen – erkannten, dass sich ein Bündnis mit dem Ordnungskomitee nicht nur als lukrativ, sondern tatsächlich als nützlich erweisen konnte.
Garibaldis Ankunft in Sizilien im Mai des darauffolgenden Jahres sowie der verzweifelte Schritt des Bourbonenregimes in Richtung einer konstitutionellen Politik trieben die Situation auf die Spitze. Der Polizeichef, der sich die Novemberjagd auf Camorristi ausgedacht hatte, wurde gefeuert. Politische Häftlinge, darunter viele Angehörige der Camorra, wurden freigelassen – und allesamt spien sie Gift und Galle gegen die Bourbonenpolizei. Dann erließ der König den
Atto Sovrano
, und das Straßentheater begann.
Dass die bewaffnete Menge, die in den Polizeirevieren einfiel, eine so beachtliche Selbstdisziplin an den Tag legte, war der Tatsache geschuldet, dass viele von ihnen Camorristi und mit den Patrioten im Bunde waren; Letztere wollten zwar die Bourbonenpolizei ausschalten, nicht aber zulassen, dass in der Stadt anarchische Zustände herrschten. Die Wirtin Marianna De Crescenzo,
la Sangiovannara
, war hier eine Schlüsselfigur. Es ging das Gerücht, sie habe patriotischen Gefangenen dabei geholfen, Botschaften aus dem Bourbonengefängnis herauszuschmuggeln. Außerdem war sie Salvatore De Crescenzos Cousine. Wie unser Schweizer Hotelier Marc Monnier von ihr sagte:
»Ohne der ehrenwerten Gesellschaft anzugehören, kannte sie doch all ihre Mitglieder und ließ sie in ihrem Haus hochriskante Geheimunterredungen führen.«
Die Verhandlungen zwischen den Patrioten und der Camorra traten in eine neue Phase, als die neapolitanische Polizeigewalt dahinschmolz und Liborio Romano in der Stadt für Ordnung sorgte. Warum hatte Romano die Camorra beauftragt, in Neapel die Polizeigewalt zu stellen? Im Nachhinein kursierten dazu mehrere Theorien. Marc Monnier, großherzig wie er war, fand eine sehr nachsichtige Erklärung: Wie schon sein Vater vor ihm sei Romano Freimaurer – dies gelte im Übrigen auch für andere patriotische Anführer bis hin zu Garibaldi selbst. Der typische Freimaurer-Cocktail aus Kameradschaft, hohen Idealen und rituellem Hokuspokus passe ausgezeichnet zu dem scheinbar unrealistischen Projekt, aus Italiens unzusammenhängenden Landesteilen ein gemeinsames Vaterland, eine
Patria
, zu kreieren. Garibaldis Eroberung des Königreichs beider Sizilien habe den Traum Wirklichkeit werden lassen. Vielleicht, so Monnier, betrachte Liborio Romano die Camorra als eine primitivere Version des eigenen Geheimbunds und hoffe, sie für gemeinnützige Anliegen gewinnen zu können. Vielleicht.
Weniger großherzige, dafür weitaus realistischere Kommentatoren behaupteten schlicht, die Camorristi hätten Romano damit gedroht, für anarchische Zustände in den Straßen sorgen zu wollen, wenn man sie nicht als Polizisten rekrutiere. Es ging auch das Gerücht, die Camorra habe Romano damit gedroht, ihn zu
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