Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Famiglia
–, dann sind sie meine Freunde.«
Den Tränen nah kehrte sie zum Hauptzweck ihrer Pressekonferenz zurück: Sie wollte Cutolo ein Ultimatum stellen. »Dieser Herr soll eines wissen: Sollte er es wagen, irgendjemandem auch nur ein Haar zu krümmen, der mir nahesteht, werde ich ihn und seine Familie, einschließlich der Frauen und Kinder, bis zur siebten Generation vernichten.«
Wir können uns allenfalls fragen, welche Gefühle diesen außergewöhnlichen Auftritt befeuert haben mögen. War es Wut oder Trauer? Trotz oder Furcht? Auch wissen wir nicht, ob diese Gefühle echt waren oder nur vorgetäuscht. Sicher scheint nur, dass sie zumindest teilweise der psychischen Anspannung geschuldet waren, die mit einem Leben als Königin der Camorra einherging. Maresca genoss Ansehen und verfügte sehr wahrscheinlich auch über wirkliche Macht. Und zahlte dafür einen hohen Preis. Sie bekam zwei Kinder von Ammaturo, Zwillinge. Ein Kind hatte sie bereits verloren: Ihr erster Sohn Pasqualino (das Baby, das sie während der berüchtigten Ereignisse von 1955 erwartet hatte) war 1974 während des Tabakschmuggel-Kriegs zwischen der Cosa Nostra und den Marseillern spurlos verschwunden. Pupetta selbst hatte den starken Verdacht, dass Ammaturo ihn getötet hatte. Und doch blieb sie bei ihm, entweder weil er sie schlug (oberhalb des Haaransatzes, damit der Schaden nicht zu sehen war) oder weil sie ihre Pelze und Juwelen zu sehr liebte.
Der »Professor« scheute die Öffentlichkeit noch weniger als Pupetta und verstand es sogar noch besser, seine Feinde das Gruseln zu lehren. Im grauen Zweireiher antwortete er in einem Gerichtssaal in Neapel auf ihre Provokation: »Mag sein, dass Pupetta mit ihren Äußerungen Aufmerksamkeit erregen wollte. Vielleicht will sie noch einen Film machen. Dann hat sie den passenden Moment gewählt, muss ich sagen: In ein paar Tagen beginnt der Karneval.«
Wie die Kabbelei zwischen Pupetta Maresca und dem »Professor« zeigte, war der Krieg in Neapel eine außerordentlich öffentliche Angelegenheit. Auf Sizilien, wo Totò Riinas Todesschwadronen aus dem Nichts auftauchten, um seine Feinde auszurotten, hatten die Bürgerschaft und sogar die Polizei Mühe zu erkennen, wer gegen wen kämpfte. In Kampanien dagegen gab es offene Provokationen und Proklamationen, und niemand hatte irgendwelche Zweifel, wie die Front verlief. Diese gegensätzlichen Taktiken der Kriegsführung entsprachen einem seit langem bestehenden Unterschied im öffentlichen Image der beiden kriminellen Bruderschaften. Der nüchtern gekleidete sizilianische Mafioso hatte traditionellerweise ein unauffälligeres Profil als der Camorrista. Mafiosi sind so sehr daran gewöhnt, den Staat und die herrschende Elite zu unterwandern, dass sie lieber mit dem Hintergrund verschmelzen als sich in trotzigen Posen gegen die Behörden zu ergehen. Diese waren schließlich schon oft auf ihrer Seite. Camorristi dagegen spielten lieber vor Publikum.
Niemand könnte diesen Umstand anschaulicher darstellen als der Giuliano-Clan, bestehend aus Pio Vittorio Giuliano und einigen seiner elf Söhne und deren Vettern. Die Familie, deren kriminelle Wurzeln auf den Schmuggelboom während der Besatzungszeit zurückgingen, stammte aus der berüchtigten »Kasba« Neapels, dem Forcella-Viertel.
Die Herrschaft der Giulianos dauerte bis in die 1980 er und 1990 er Jahre, als der Clan infolge von Verhaftungen, Todesfällen und Überläufern allmählich zerfiel. Die unverfrorene Zurschaustellung ihrer Macht – die Familie belegte einen Wohnblock, der wie der Bug eines gewaltigen Schiffes an einer Straßengabelung dräute, mitten im Zentrum des Forcella-Viertels – wäre den Camorristi des 19 . Jahrhunderts mit ihren goldenen Ringen, den bestickten Westen und weiten Hosen durchaus vertraut gewesen. Der zweitgeborene Giuliano-Sohn Luigi ( 1949 geboren) übernahm das Familienunternehmen als Zwanzigjähriger. Er wäre gern Schauspieler und Dichter geworden, ein Goldkettchenträger, dessen Erfolg bei den Damen ihm den Spitznamen »Lovigino« einbrachte – eine Kombination aus dem englischen Wort
love
und der Koseform von Luigi. Loviginos gefährlich gutes Aussehen und seine bestürzend blauen Augen erklären seinen zweiten Spitznamen: »Eisauge«.
Es ist kein Zufall, dass die Giulianos viele aussagekräftige Fotos ihrer Prunksucht hinterlassen haben. Das bei weitem berühmteste Bild aus ihrem Familienalbum wurde bei einer Polizeirazzia im Februar 1986
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