Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
rekrutierte Hunderte junger Anhänger, änderte seine Kommandostruktur, erhöhte um ein Vielfaches den Druck seiner Schutzgelderpressungen und unternahm sogar eine Reise in die Vereinigten Staaten, um mit seinen Kontakten in der amerikanischen Cosa Nostra Geschäfte zu machen. All diese Initiativen bereiteten den Boden für die kühne Forderung, die er dann an jede andere Camorraorganisation stellte: Er wollte Geld, 20 000 Lire ( 2011 etwa 65 Euro) für jede Kiste Schmuggelzigaretten, die in der Region abgeladen wurde. Der Ehrgeiz, der aus Cutolos Ultimatum sprach, war unverkennbar: Er strebte danach, die gesamte kampanische Unterwelt zu beherrschen.
Die Cosa Nostra war die größte Macht, die Cutolo im Weg stand. Anfang der 1970 er Jahre hielten die Clans, die mit der sizilianischen Mafia im Bunde waren, das kriminelle Kräftegleichgewicht in Kampanien, das sich aus vielen verschiedenen Gangster-Territorien zusammensetzte. Als schlauer Propagandist verkaufte der »Professor« seinen Anhängern diesen Kampf als kriminellen Patriotismus: Die Nuova Camorra Organizzata, Hüterin der Traditionen der einstigen Ehrenwerten Gesellschaft Neapels, musste die Region gewaltsam von sizilianischen Einflüssen befreien: »Eines Tages wird das kampanische Volk verstehen, dass eine Brotrinde, in Freiheit verzehrt, kostbarer ist als das Steak in der Versklavung. Und am selben Tag wird Kampanien siegen.« Cutolo brandmarkte Camorristi, die einer fremden kriminellen Macht anhingen, als Verräter: »In meinen Augen waren sie ›halbe Mafiosi‹, weil sie von sizilianischen Bossen Befehle entgegennahmen und auf diese Weise ihr eigenes Land verkauften.« Die Rhetorik des »Professors« wurde durch die Feuerkraft seiner zahllosen jungen Revolverhelden unterstützt. Überall in Kampanien kam es zu Auseinandersetzungen.
Die ersten Clans, die sich zusammenschlossen, um Cutolo zu trotzen, waren jene aus dem Stadtzentrum Neapels. Die Anti-Cutolo-Front wurde bald immer größer. Sie umfasste die kampanischen Cosa-Nostra-Familien und auch andere Clans im neapolitanischen Umland. Dabei gab sie sich den Namen
Nuova Famiglia
– Neue Familie – oder NF . Zu Beginn des Jahres 1980 war die gesamte Region in zwei bewaffnete Lager gespalten, die NF und die NCO . Die Größe der Armeen war absolut beispiellos in der gesamten langen Geschichte des organisierten Verbrechens in Kampanien. Dies galt auch für das Ausmaß des Blutvergießens: geschätzte 1000 Tote im Lauf von fünf Jahren.
Der Krieg in Kampanien zu Beginn der 1980 er Jahre war eine noch weitaus schmutzigere Angelegenheit als Riinas
coup d’état
in Sizilien. Viel zur Verwirrung trug der Umstand bei, dass die
Nuova Famiglia
ein loses Bündnis war, keine einzelne Unterweltorganisation. Zwar bediente sie sich improvisierter Initiationsrituale, doch verrät uns dieser Umstand lediglich, dass ihre Anführer verzweifelt nach jedem Strohhalm griffen, um ihre Rekruten bei der Stange zu halten und den zahlenmäßig haushoch überlegenen Anhängern der
Nuova Camorra Organizzata
die Stirn bieten zu können. Was die
Nuova Famiglia
mehr schlecht als recht zusammenschweißte, war allenfalls der gemeinsame Kampf gegen den »Professor«. Einige ihrer Gangsterbarone spielten das Kriegsgeschehen herunter, sobald es ihren Zwecken diente, andere wechselten auf halber Strecke die Seiten. Die Cosa Nostra versuchte, den Konflikt von außen zu lösen, während sie in Palermo selbst einen heftigen Konflikt auszufechten hatte.
1980 versuchte die Cosa Nostra zunächst, zum gemeinsamen Widerstand gegen Cutolos Ambitionen aufzurufen, der den Kämpfen ein schnelles Ende bereitet hätte. Doch die Kommission fand heraus, dass sogar Niederlassungen der sizilianischen Mafia in Kampanien nur sehr ungern Soldaten und Geld in einen Krieg investierten. Der führende Tabakschmuggler, der »Irre« Michele Zaza, war eines der Gründungsmitglieder im Bündnis gegen Cutolo. Doch mittlerweile traf er lieber ein Abkommen mit dem »Professor«, das eine Aufteilung des Territoriums vorsah: Die
Nuova Camorra Organizzata
erhielt die ländlichen Gebiete, solange sie sich von der Stadt fernhielt. Lorenzo Nuvoletta, Anführer der zweiten kampanischen Cosa-Nostra-Familie, hatte wahrscheinlich andere Motive. Für ihn waren Drogen wichtiger als die sinkenden Einnahmen aus dem Tabakschmuggel, die der »Professor« besteuern wollte.
Enttäuscht über den fehlenden Kampfgeist, schickte die Palermer Kommission einen Killer, um den
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