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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Soundtrack erinnert stark an die genretypische Partitur des
Paten
. Seit
Il camorrista
1986 in die Kinos kam, haben endlose Wiederholungen im Regionalfernsehen, in Untergrundvideos und neuerdings auf YouTube in der kollektiven Erinnerung an das Regime des »Professors« Realität und Mythos unwiederbringlich durcheinandergewirbelt. Die eindringlichsten Aussagen im Film (»Sag dem »Professor«, dass ich ihn nicht verraten habe« und »
Malacarne
ist ein
guappo
aus Pappe«) sind ebenso einprägsam wie »Ich mach ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen kann« und »Lass das Gewehr, nimm die
cannoli
« aus
Der Pate
und gleichsam deren neapolitanisches Äquivalent.
    Die visuell ansprechendste Szene des Films spielt sich im Gefängnis ab. Der »Professor«, in einem makellos gebügelten himmelblauen Schlafanzug, liegt im Bett und liest ein Geschichtsbuch. Ein dumpfes Grollen im Hintergrund lässt ihn aufblicken. Aus dem Grollen wird ein Rütteln: Zuerst vibrieren die Ornamente auf seinem Nachtkästchen, dann schlägt sein metallenes Bettgestell wiederholt gegen die Wand, und sein Zellenfenster zerbirst. Im Hintergrund hört man panisches Geheul: »Erdbeben!« Cutolo steht schwankend auf und öffnet die Zellentür, um zu sehen, wie das Poggioreale-Gefängnis in Anarchie versinkt. Staubwolken steigen vom Boden auf, und von der Decke bröckelt der Putz. Die Aufseher rennen hin und her und befreien brüllende Insassen aus ihren Zellen. Sekunden später hat Cutolo die Arme um seine beiden Hauptvollstrecker gelegt: »Diese Chance schickt uns der liebe Gott! Es ist die Apokalypse für die alte Camorra!«
    Was folgt, ist ein grausiger Helldunkel-Karneval aus Messerstechereien, Knüppeleien, Lynchen und Erdrosseln, als Cutolos Männer das Chaos nutzen, um sich ihrer Feinde zu entledigen. Inmitten der lärmenden Massenpanik im Gefängnis erfolgt ein Schnitt, und wir blicken am Morgen danach in den Gefängnishof, wo etwa ein Dutzend Särge aus Kiefernholz in Lieferwagen verladen werden.
    Das Erdbeben vom 23 . November 1980 war keine Kinophantasie. Mit seinem Epizentrum in den Bergen östlich von Neapel forderte es in Kampanien 2914  Menschenleben. Als Regisseur nutzte Tornatore seine künstlerische Freiheit und baute die Katastrophe in seinen Gangsterfilm mit ein. Als Historiker muss ich jedoch auf einige Punkte verweisen, bei denen Kunst und Wirklichkeit voneinander abweichen. Die Anzahl der Ermordeten zum Beispiel: Es gab »nur« drei Todesfälle im Poggioreale; und weitere drei am 14 . Februar 1981 , als Cutolos Männer infolge eines größeren Nachbebens erneut auf die Jagd gingen. Tornatore schuf Platz für all die zusätzlichen Toten, indem er die 90  Sekunden, die das tatsächliche Beben dauerte, zu fast drei Minuten dehnte; er fügte außerdem, der Wirkung wegen, ein paar unglaubwürdige Donnerschläge und Blitze hinzu. In Wirklichkeit zog sich die Schreckensherrschaft im Poggioreale in die Länge. Die Killer der NCO verfolgten ihre Opfer nicht während des Erdbebens, sondern in der Nacht darauf, als die Wachposten etliche Flügel im Stich gelassen hatten, damit die unterschiedlichen kriminellen Lager in Ruhe ihre Rivalitäten ausfechten konnten.
    Il camorrista
beschönigt die Wahrheit in noch perfiderer Weise. Zum Beispiel stellt der Film den schmutzigen Mord, dessentwegen Cutolo ein erstes Mal zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, fälschlicherweise als Racheakt dar, nachdem der Getötete zuerst Cutolos Schwester betatscht hatte. Seit den Anfängen der italienischen Mafias wurde im kollektiven Denken das Prestige der Gangster mit der Verteidigung weiblicher Unbescholtenheit in Verbindung gebracht.
    Und dennoch wird selbst der größte Erbsenzähler unter den Historikern zugeben, dass Tornatores künstlerische Freiheit in einigen Fällen gerechtfertigt war. Er hatte beispielsweise absolut recht daran getan, das Erdbeben zu einer der zentralen Szenen auszugestalten. Der 23 . November 1980 , an dem Cutolo im seidenen Morgenrock seine Killer ausschickte, war in der Tat ein wichtiges Datum im Krieg der
Nuova Camorra Organizzata
gegen ihre Feinde. Der Grund, warum die
Nuova Famiglia
»Puppengesicht« Giacomo Frattini so sehr hasste, dass sie ihm den Kopf abschlug, war, dass er im November 1980 einer der Gefängniskiller des »Professors« gewesen war.
    Das Erdbeben markierte auch eine seismische Verwerfung im Wesen der neapolitanischen Camorra. Infolge des Erdbebens tat die Camorra es endlich der Mafia und der

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