Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
sichergestellt. Es zeigt zwei der lockenköpfigen Giuliano-Söhne, den »Löwen« Carmine im leuchtend roten V-Ausschnitt-Pullover und den »Krummen« Guglielmo in weißer Jeans. Beide sitzen freudestrahlend in der pompösesten Badewanne seit Beginn der Sanitärinstallation: Sie hat die Form einer gigantischen, aufgeklappten Muschel. Die Wanne ist mit Blattgold ausgelegt, der Rand aus schwarzem Stein, der Sockel aus rosafarbenem Marmor. Das Bemerkenswerteste an diesem Foto ist aber nicht etwa der fragwürdige Einrichtungsgeschmack der Giulianos, sondern der kleine, muskulöse Mann im grauroten Jogginganzug, der sich zwischen den Brüdern in der Wanne rekelt und mit ihnen um die Wette grinst: Diego Armando Maradona, das größte Talent, das je ein Paar Fußballschuhe schnürte.
Der argentinische Superstar Maradona spielte in seiner Glanzzeit zwischen 1984 und 1992 für Neapel und gewann zweimal die Landesmeisterschaften der Serie A. Er wurde in der Stadt wie ein Halbgott verehrt, wie noch kein Sportler vor ihm: Noch heute schmückt sein Konterfei die Hälfte der Bars in Neapel. Das berühmte Badewannenfoto war nicht der einzige Anlass während Maradonas Zeit im himmelblauen Napoli-Trikot, der seinen Namen mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung brachte. Im März 1989 tauchte er in dem schicken Restaurant auf, in dem Loviginos Cousin seine Vermählung feierte: »Maradona auf Gangster-Hochzeit« lautete die Schlagzeile. Vier Monate später behauptete er, dass die Camorra ihn und seine Familie bedrohe und er zu viel Angst habe, um zum Beginn der neuen Fußballsaison nach Neapel zurückzukehren. Man munkelte von Spielmanipulation. Im selben Sommer wurde das Muschelwannenfoto veröffentlicht. (Rätselhafterweise hatte es über drei Jahre in einer Schublade des Polizeipräsidiums gelegen.) Man darf auch nicht vergessen, dass Maradonas gut dokumentierte Kokainprobleme in Neapel ihren Anfang nahmen. Damals bestritt »die Hand Gottes«, gewusst zu haben, dass die Giulianos Gangster waren. In seiner Autobiographie, die 2000 erschien, ist er mitteilsamer:
»Ich gebe zu, dass diese Welt ihren Reiz hatte, das gebe ich zu. Für die Argentinier war das was Neues: Die Mafia, was das wohl ist? Es war faszinierend, das zu beobachten (…) Mir haben sie angeboten, in die Clubs der Fußballfans zu gehen, sie haben mir Uhren geschenkt, so war unser Verhältnis. Aber wenn ich gemerkt habe, dass die Sache nicht ganz sauber war, dann habe ich verzichtet … Aber es war eine unglaubliche Zeit: Jedes Mal, wenn ich in einen dieser Clubs ging, haben sie mir eine goldene Rolex geschenkt, Autos. (…) Und ich habe sie gefragt: ›Aber was muss ich dafür tun?‹ Und sie antworteten mir: ›Nichts, lass ein Foto von dir machen.‹ – ›Danke‹, sagte ich, und am nächsten Tag sah ich das Foto dann in der Zeitung.«
Hier geht es nicht etwa um die Frage, ob Maradonas Verbindungen zum organisierten Verbrechen enger waren, als er behauptet. Seine deutlich sichtbare Freundschaft mit den Giulianos genügte deren Zwecken vollkommen. Viele Camorristi legen Wert auf gute Presse, besonders in den Städten; sie wollten schon immer die Bewunderung jener Neapolitaner auf sich ziehen, die sich mit wohlmeinenden Ganoven identifizieren. Ob durch schrille, teure Kleidung und übertriebene Großzügigkeit, durch vorgetäuschte Frömmigkeit, durch großartige öffentliche Beerdigungen und Hochzeiten oder indem sie mit Sängern und Sportlern verkehren; Camorristi rechtfertigen seit Generationen ihr Verhalten ausgerechnet vor den Augen derer, die sie ausbeuten. Maradonas eigene Lebensgeschichte, als der Wunderknabe aus einem Elendsviertel von Buenos Aires, passte perfekt zur traditionellen Behauptung der Camorra, sie sei in der Armut verwurzelt und von ihr gerechtfertigt. Wenn die Camorra der Elendsviertel von Neapel eine offizielle Ideologie hätte, wäre es die Art von Pseudosoziologie, die Lovigino »Eisauge« Giuliano von sich gab:
»In Forcella kann man unmöglich leben, ohne die Gesetze des Staates zu brechen. Doch das ist nicht die Schuld der Leute aus Forcella. Schuld haben diejenigen, die uns daran hindern, einer normalen Beschäftigung nachzugehen. Da kein normales Unternehmen bereit ist, jemanden aus Forcella einzustellen, sind wir gezwungen, uns allein durchzuschlagen.«
Selbstverständlich beinhaltete dieses »Durchschlagen«, dass man aus jeder einträglichen Beschäftigung in Forcella Geld presste; es beinhaltete illegale Lotterien und
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