Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Einem weiteren Bruder, der erst 16 war, wurde der Arm abgeschnitten, ehe er von seinen Qualen erlöst wurde.
Die Nachricht vom Blutvergießen in Sizilien verursachte Bestürzung in New York. John Gambino, Mitglied des Transatlantischen Syndikats und Boss von Cherry Hills, kehrte mutig nach Palermo zurück, um die Besorgnis der amerikanischen Cosa Nostra zum Ausdruck zu bringen. Riinas Antwort war ein Befehl: Die Amerikaner sollten sämtliche Mitglieder aus den Bontate- und Inzerillo-Clans töten, die über den Atlantik hatten fliehen können. So kam es, dass Salvatore Inzerillos Onkel und Vetter verschwanden; dann wurde Inzerillos Bruder Pietro aus einem Restaurant in Trenton, New Jersey, entführt, enthauptet und tot im Kofferraum eines Cadillac abgelegt. Ein spezielles Detail im Zusammenhang mit dem abscheulichen Ende Pietro Inzerillos regte die Phantasie der Öffentlichkeit an: Man hatte ihm Geldscheine in den Mund geschoben und auf das Geschlechtsteil gelegt, um zu zeigen, dass er allzu gierig geworden war. Demnach hatten die amerikanischen Killer (darunter ein weiterer Vetter Inzerillos) brav geschluckt, was ihnen von den Corleonesern vorgesagt worden war: Die Gier der Mafiosi, die den Zugang zum amerikanischen Heroinmarkt kontrollierten, habe den Krieg verursacht.
Nachdem er die Mitglieder des Inzerillo-Clans aufeinandergehetzt hatte, liquidierte Riina jeden, an dessen Loyalität auch nur der geringste Zweifel bestand. Kurz vor Weihnachten 1982 wurde der Repräsentant von Partanna Mondello, Saro Riccobono, der sich bei Riina hatte einschmeicheln wollen, indem er Emanuele D’Agostino und dessen Sohn verraten und getötet hatte, zu einem Grillfest eingeladen, das inmitten der Mandarinen- und Orangenbäume von Michele Grecos Anwesen in Ciaculli stattfand. Nach einer herzhaften Mahlzeit und einem Schläfchen wurde er von Männern geweckt, die ihm einen Strick um den Hals legten: »Saro, deine Geschichte endet hier«, sagten sie. Zur gleichen Zeit wurden Riccobonos Soldaten von den übrigen Gästen gejagt und einer nach dem anderen stranguliert. Als alle beseitigt waren, blieben nur noch drei Mitglieder aus der Familie des »Mister Champagne« am Leben.
Die Auslese dehnte sich auf andere Provinzen Siziliens aus. Im September 1981 hatten die internationalen Heroindealer des Cuntrera-Caruana-Clans ihr erstes Opfer zu beklagen: Leonardo Caruana war ermordet worden. Die Corleoneser finanzierten auch besonders bösartige Kämpfe in der Provinz Trapani, wo sie langsam die Stadt Alcamo – Zentrum des Bontate-Badalamenti-Inzerillo-Lagers in der Provinz – umzingelten und eroberten.
Obwohl das Blutvergießen in Sizilien in den Jahren 1981 bis 1983 seinen Höhepunkt erreichte, legte es sich nicht ganz, sondern wurde zum permanenten Schreckenszustand. Je mächtiger Riina wurde, desto größer wurde seine Angst. Allmählich sah er in den jungen Killern, die bei den ersten Tötungswellen eine führende Rolle gespielt hatten, eine potentielle Bedrohung. Das typischste Beispiel war Pino »kleiner Schuh« Greco. »Kleiner Schuh« war der Mann, dessen Kalaschnikow sowohl Stefano Bontate als auch Salvatore Inzerillo den Garaus gemacht hatte. Er war außerdem der Sozius mit der Kalaschnikow, der den Mordversuch an Totuccio Contorno unternommen hatte. »Kleiner Schuh« war es auch, der dem 16 -jährigen Inzerillo-Bruder den Arm abgeschnitten hatte. Angeblich hatte er 80 Menschen auf dem Gewissen. Aber er war mehr als nur ein sadistischer Schlächter. Er war eine eigenständige Macht. Offiziell war Pino Greco der Unterboss von Michele Grecos Ciaculli-Familie, in Wirklichkeit aber die Macht hinter dem Thron des »Papstes«, die dafür sorgte, dass die Corleoneser ihren Willen bekamen. Irgendwann gegen Ende des Jahres 1985 beschlossen die Gefolgsleute des »kleinen Schuhs«, ihren Boss zu eliminieren, ehe sein Ehrgeiz sie dem Zorn Riinas ausliefern würde.
So viel Grauen erzeugte der Corleoneser. Riina hatte eine Art Militärdiktatur errichtet. Die Cosa Nostra würde niemals mehr sein wie früher. Längst hatte der Gangsterkrieg in Italien auch auf Kampanien übergegriffen, und die sizilianische Mafia war in einen Stellvertreterkrieg gegen den »Professor« und seine
Nuova Camorra Organizzata
geraten.
Die
Nuova Famiglia
: Ein Gruppenbild
Als sich Raffaele Cutolo im Februar 1978 »etwas geräuschvoll« aus der Nervenheilanstalt in Aversa verabschiedet hatte, wuchs seine Nuova Camorra Organizzata ( NCO ) zusehends. Der Professor
Weitere Kostenlose Bücher