Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Patronagepolitik in Kampanien. Nach dem Erdbeben von 1980 übertrug man ihm die Verantwortung für die üppigen Geldmittel, die der Regionalregierung Kampaniens zum Wiederaufbau zur Verfügung standen. Bald darauf, am Abend des 27 . April 1981 , wurde er von der neapolitanischen Kolonne der Roten Brigaden entführt. Fünf
brigatisti
lauerten ihm auf, als er in die Tiefgarage seines Hauses in Torre del Greco einfuhr, einer Ortschaft zwischen dem Vesuv und dem Meer. Als Cirillos Leibwächter wie üblich noch einmal vor die Tür ging, um nach dem Rechten zu sehen, wurde er erschossen. Ehe der Chauffeur reagieren konnte, wurde auch er getötet, und Cirillos Sekretär fing sich mehrere Projektile in den Beinen ein. Cirillo wurde vom Rücksitz gezerrt, erhielt einen Schlag mit der Pistole und wurde verschleppt.
Italien war zu diesem Zeitpunkt bereits düster vertraut mit der Routine terroristischer Entführungen. Zunächst rief jemand bei einer Zeitung an, um sich zu der Tat zu bekennen. Dann ein kurzes Zwischenspiel banger Sorge: War das Bekenntnis echt? Und endlich der Beweis. Am Nachmittag nach Cirillos Entführung erreichte ein weiterer Anruf die Redaktion des
Mattino
, der größten Tageszeitung Neapels. Die Anweisungen waren kurz und bündig: »In Riviera di Chiaia, Hausnummer 275 , findet ihr unter einer Mülltonne die Verlautbarung Nummer 1 .« Verlautbarung eins enthielt ein Polaroidfoto des Gefangenen, der vor dem windschiefen, fünfzackigen Stern der Roten Brigaden saß. Darüber der Wahlspruch: »Der Henker wird einem Gerichtsverfahren unterzogen.« Auf fast 150 getippten Seiten einer weitschweifigen pseudomarxistischen, ökonomisch-politischen Analyse des Staates Neapel wurde Cirillo als »Weichensteller für den imperialistischen Wiederaufbau« beschrieben.
Das verängstigte Gesicht, das in die Kamera starrte, offenbarte nichts von der Macht, die er laut Aussage der Roten Brigaden innehatte: Halbglatze, Schnauzbart, Augen, die zu klein waren für sein Gesicht. Und doch hatten die
brigatisti
ihr Ziel sorgsam ausgewählt, denn trotz ihrer verblendeten Ideologie war ihre »Cirillo-Kampagne« (wie sie sie nannten) ein strategischer Schachzug. Das Erdbeben hatte allein in Neapel 50 000 Personen obdachlos gemacht: Die Terroristen hofften auf die Zustimmung dieser vielen verwundbaren und zornigen Menschen. In ihren regelmäßigen Mitteilungen stellten die Roten Brigaden all jene an den Pranger, die aus dem Erdbeben Profit schlugen, und hetzten gegen die sogenannte »Deportation der Proletarier« aus den überfüllten, erdbebengeschädigten Häusern des Stadtzentrums. Es gab auch andere Propagandaaktionen: Plakate der Roten Brigaden wurden in Gebieten angebracht, wo die meisten Wohnwagen von Obdachlosen standen, und zwei weitere Funktionäre, die am Wiederaufbau beteiligt waren, wurden ebenfalls entführt. Die Roten Brigaden inszenierten ein »Volkstribunal« gegen Cirillo und verschickten Mitschnitte an die Medien. Sie stellten damit Gier und Misswirtschaft in der DC an den Pranger. Die Christdemokraten in Kampanien hatten gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Das Entführungsopfer war ein Mann mit vielen Geheimnissen: Nicht auszudenken, zu welchen Bekenntnissen seine Angst ihn womöglich trieb, während er in den Händen der Roten Brigaden war.
Auf den ersten Blick waren Cirillos Aussichten, seine missliche Lage zu überleben, alles andere als rosig. Die
Democrazia Cristiana
hatte sich offiziell einer Politik verschrieben, die keinerlei Verhandlungen mit politischen Geiselnehmern vorsah – dieselbe Politik hatte sie verfolgt, als der Parteisekretär Aldo Moro 1978 entführt worden war. Moro war gestorben, wie viele andere Opfer. Am 9 . Juli 1981 hieß es in einer weiteren Mitteilung der Roten Brigaden, dass das Volkstribunal zu dem »einzig möglichen gerechten Schluss« gekommen sei. Gegen Cirillo das Todesurteil zu verhängen, sei »unter diesen Umständen der erhabenste Akt der Menschlichkeit«. Sein Schicksal schien besiegelt.
Im Morgengrauen des 24 . Juli 1981 wurde Cirillo aber auf freien Fuß gesetzt, und die Terroristen ließen verlauten, sie hätten eine Milliarde 450 000 Lire ( 2011 1 , 9 Millionen Euro) Lösegeld erhalten.
Der Innenminister wies die Mutmaßung entrüstet von sich, dass Cirillo gegen Geld ausgelöst worden sei, behauptete stattdessen, er sei »ohne jede Verhandlung freigekommen und ohne Zugeständnis des Staates an die bewaffnete Bande, die ihn erpresst hatte«. Es
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