Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
»Überaus geschlossene Gesellschaft«), die aus acht Oberbossen bestand – Rogoli sprach von »acht unbekannten, unsichtbaren Männern, die bis an die Zähne bewaffnet waren«. Sie trugen allesamt Waffen, weil man auf ein verlässliches Killerkommando zurückgreifen wollte, bezahlt aus den gemeinsamen Geldmitteln der Organisation, um die Disziplin zu wahren. Doch nicht einmal diese drastischen Methoden konnten dem vernichtenden Konflikt und der Zersplitterung Einhalt gebieten.
So machte die
Sacra Corona Unita
dieselbe grundlegende Entwicklung durch, die schon andere Mafias seit den 1950 er Jahren erlebt hatten: größere Gewinne, stärkere Zentralisierung und immer mehr blutige Grabenkämpfe. Zwischen 1984 und 1992 verdreifachten sich in Apulien die mit der Mafia in Zusammenhang stehenden Tötungsdelikte von 45 auf 135 im Jahr.
Die SCU ist auch heute noch eine kriminelle Macht, wenn sie in den vergangenen Jahren auch einige schwere Niederlagen einstecken musste. Es ist noch zu früh für eine Prognose über das weitere Schicksal der
Sacra Corona Unita
. Ob sie lange genug Bestand haben wird, dass einige Anführer ihre Macht auf die nächste Generation übertragen können, wird sich weisen.
Apulien war genau wie Rom ein Territorium, in dem alle drei bedeutenden Mafias vertreten waren. Die Adriaküste der Region war eine wichtige Eingangsschleuse für Schmuggelzigaretten und andere illegale Güter. Geographisch gesehen lag sie im Hinterhof von ’Ndrangheta und Camorra. Was besonders auffällt an der Geschichte der
Sacra Corona Unita
, ist die Tatsache, dass sich Camorristi, Mafiosi und ’Ndranghetisti auf apulischem Boden, genau wie in Rom, nicht bekriegten. Sie pflegten sogar diplomatische Beziehungen untereinander. Offenbar waren Abgesandte der ’Ndrangheta und Cosa Nostra als Zeugen anwesend, als der »Professor« in Lecce 90 apulische Kriminelle feierlich dem Initiationsritual unterzog.
Nichtsdestoweniger hatten Cosa Nostra, Camorra und ’Ndrangheta unterschiedliche Ansätze, wie man sich neues Terrain erobert. Als in den 1960 er und 1970 er Jahren die Anzahl der Mafiavorposten in anderen Regionen stieg und diese mit Entführungen und Drogengeschäften ihre Macht ausweiteten, erwies sich eine der Organisationen als ungleich erfolgreicher als die anderen beiden.
Erstaunlicherweise war die Cosa Nostra als reichste und mächtigste Mafia nur selten daran interessiert, in anderen Regionen Niederlassungen zu gründen. In diversen Gegenden Italiens gab es anerkannte
decine
der Cosa Nostra, die normalerweise aus Sizilianern bestanden. Doch sobald sie aus irgendwelchen Gründen Sizilien verließen, zogen sizilianische Ehrenmänner es vor,
keine
Gesandtschaften der Cosa Nostra zu errichten. Stattdessen verließen sie sich auf ihr kriminelles Prestige, um zum jeweiligen Zweck Helfershelfer aus der örtlichen Unterwelt an sich zu binden, und fuhren gut damit. Dasselbe tat Luciano Liggio,
capo
der Corleoneser, während seiner Entführungsphase. Gaspare Mutolo alias »Mister Champagne« verfuhr ähnlich, wenn er von einem Stützpunkt aus, unweit seines Gefängnisses in den Marken, Heroin verschob.
Nur in Neapel hatte man Cosa-Nostra-Familien aufgebaut und ihre Leitung Nicht-Sizilianern wie den Nuvolettas und Zazas übertragen. Dieser ungewöhnliche Schritt war der Bedeutung Neapels als Eldorado des Zigarettenschmuggels geschuldet. Und die Macht der Cosa Nostra erzeugte, wie bereits erwähnt, heftigen Widerstand seitens der NCO des »Professors«. Sie schürte auch den Groll der neapolitanischen Verbündeten der sizilianischen Mafia. »Die Sizilianer sahen auf uns herab«, erinnerte sich einer der Camorrabosse. »Dann gab es Typen, die der Cosa Nostra in den Arsch gekrochen sind. Camorristi, dass ich nicht lache! Sie haben den Arsch hingehalten für die Sizilianer, nur um sich ein bisschen stärker zu fühlen.«
Trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem sizilianischen Einfluss in seiner Heimat pflegte Raffaele Cutolo einen zentralistischen, ziemlich diktatorischen Führungsstil, wenn er außerhalb Kampaniens tätig wurde. Folglich musste der apulische Zweig der
Nuova Camorra Organizzata
einen hohen Tribut an ihn entrichten. Seine Selbstherrlichkeit rächte sich, als die
Sacra Corona Unita
entstand und sich ihm widersetzte.
Die ’Ndrangheta ging die Herausforderung, sich außerhalb der Heimat zu verbreiten, subtiler, aber auch gründlicher an. Sie hatte mächtige Gesandte in Kampanien und Apulien. Doch
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