Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
weiterer Bestandteil im Arsenal der Macht kam im Sizilien der 1970 er und 1980 er Jahre noch Mord hinzu.
Als Andreotti schließlich vor Gericht gestellt wurde, weil er im Verdacht stand, für die Cosa Nostra gearbeitet zu haben, verfügte der Oberste Gerichtshof, dass Andreottis Verhältnis zu den Bossen sich nach 1980 , als sein Parteikollege Piersanti Mattarella ermordet worden war, rapide verschlechtert habe. Andreotti habe gewusst, so das Gericht, dass die Cosa Nostra die Ermordung Mattarellas plante, aber nichts dagegen unternommen. An der Dalla-Chiesa-Affäre, so die Richter, treffe ihn allerdings keine Schuld. Trotzdem laste auf ihm eine riesige moralische Verantwortung, weil er mitgeholfen habe, die tödliche Gefahr für den General zu vergrößern, weil er in der Öffentlichkeit – und im Denken der Mafia – den Eindruck erweckt habe, als erhalte der neue Präfekt von Palermo keine Rückendeckung.
Dalla Chiesas Aufgabenstellung blieb noch lange unklar, nachdem er die elegante neogotische Villa bezogen hatte, in der Palermos Polizeipräfektur untergebracht war. Am 9 . August 1982 – ein ungewöhnlich kühler Tag gemessen an der gnadenlosen Hitze des sizilianischen Sommers – sprach er mit einem der führenden Journalisten Italiens über seine Befürchtungen. Das Interview gehört zu den berühmtesten in der Geschichte des italienischen Journalismus. Die Überschrift lautete: »Einer allein gegen die Mafia«.
Dalla Chiesa äußerte sich ebenso unumwunden wie in jeder Etappe seines Palermer Abenteuers. Anhand der jüngsten Begebenheiten erzählte er, wie die Mafia den Behörden ihre Verachtung kundtat:
»Sie morden am helllichten Tag, verschleppen die Leichen, verstümmeln sie und lassen sie liegen, damit wir sie zwischen der Präfektur und dem Sitz der Landesregierung finden, oder zünden sie um drei Uhr nachmittags im Stadtzentrum von Palermo an.«
Der General skizzierte seine strategische Antwort. Zum einen intensivere Polizeipatrouillen, um den Staat für die Bewohner sichtbar zu machen. Dann müsse das Vermögen der Mafia anvisiert werden. Das Problem Mafia war längst nicht mehr auf den Westen Siziliens begrenzt: Die Gangster investierten überall im Land, und diese Investitionen müssten aufgedeckt werden.
Ob es einfacher gewesen sei, gegen Terroristen zu kämpfen, wurde Dalla Chiesa gefragt. »In gewissem Sinne schon. Damals wusste ich die öffentliche Meinung hinter mir. Der Kampf gegen den Terrorismus war den wirklich maßgeblichen Personen in Italien ein Anliegen.« Was Dalla Chiesa sagte, war traurig, aber wahr. Siziliens prominente Leichen – Journalisten, Richter, Politiker – zählten nichts im Vergleich zu den Opfern ähnlichen Kalibers in Mailand oder Rom.
Der General erklärte außerdem die subtilen Tricks, deren die Mafia sich bediente, um seine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Die ehrlichen Polizisten, die seit den 1870 er Jahren gegen die Mafia gekämpft hatten, gegen den Widerstand seitens der Eliten der Insel, dürften seine Worte mit einem bitteren, wissenden Lächeln gelesen haben.
»Ich erhalte gewisse Einladungen. Ein Freund, jemand, mit dem ich gearbeitet habe, sagt beiläufig: ›Warum fahren wir nicht zu dem und dem und trinken einen Kaffee mit ihm?‹ Der Sowieso hat einen klingenden Namen. Wenn ich nicht weiß, dass durch sein Haus Ströme von Heroin fließen, und trinke Kaffee bei ihm, dann ende ich noch als Deckmantel. Geh ich aber hin, obwohl ich es weiß, dann ist das ein Zeichen, dass ich billige, was vor sich geht, nur indem ich dort bin.«
Wer sich weigere mitzuspielen, habe in Palermos einflussreichen Kreisen schnell den Ruf, »unbeholfen«, »unfreundlich« oder »eingebildet« zu sein. Ein solcher Ruf sei oftmals der Auftakt, um erschossen zu werden.
Warum sei Pio La Torre getötet worden? »Wegen seines ganzen Lebens. Doch der endgültige, entscheidende Grund war sein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung der Mafia.«
Warum ermorde die Mafia neuerdings so viele wichtige Vertreter des Staates? »Ich glaube, ich habe die neuen Spielregeln begriffen. Jemand, der eine Machtposition innehat, kann getötet werden, wenn zwei Dinge zusammenkommen: Er wird zu gefährlich, und er steht isoliert da.«
Von seinem Briefwechsel mit Andreotti wusste General Dalla Chiesa nur allzu gut, dass diese »todbringende Kombination« auch auf ihn zutraf. Er war eine Bedrohung und stand völlig isoliert, also war sein Leben in ernsthafter Gefahr. Warum machte er dann weiter, zumal
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