Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
Und sie suchen die Hilfe eines jeden Politikers oder Verwaltungsbeamten, der ihnen im Nachhinein eine Baugenehmigung erteilt. Solche Leute sind die perfekten Wähler für den Camorrista-Politiker.
Die Camorra (dasselbe ließe sich auch über die Cosa Nostra und die ’Ndrangheta sagen) beutete die politischen und gesellschaftlichen Schwächen Italiens mit kühlem unternehmerischen Verstand aus. Antonio Bardellinos Geschäftsführer erklärte später die strategischen Überlegungen seines Clans:
»In den 1980 er Jahren erkannten wir, dass wir unsere ›Mafiaaktivitäten industrialisieren‹ mussten, und zwar so, wie es die Nuvolettas bereits getan hatten. Es gab dafür mehrere Gründe: um immer verfügbares Kapital zu haben; um die künftigen Aktivitäten der Organisation planen zu können; und um nicht ›dasselbe Ende zu nehmen wie Cutolos
Nuova Camorra Organizzata
‹, die nicht einmal mehr genügend Geld hatte, um ihre Mitglieder im Gefängnis zu bezahlen. Also haben [unsere Leute] das Baustoffkonsortium CONVIN gegründet. 1982 haben Antonio Bardellino und ich außerdem CEDIC aufgezogen, ein Betonlieferwerk. Wir überließen das Management von CEDIC einem qualifizierten Fachmann, Giovanni Mincione. Bevor Mincione den Vorsitz übernahm, wurde er offiziell in Antonio Bardellinos Organisation eingeführt: Er wurde in den Finger gestochen, während ein Bild unseres Dorfheiligen verbrannt wurde.«
Territoriale Kontrolle durch Waffengewalt war natürlich ein fester Bestandteil dieses Geschäftsplans. Nach dem Blutbad in Torre Annunziata vertrieben Antonio Bardellinos siegreiche Truppen die Nuvolettas aus den Gruben, die die Bauindustrie mit Sand und Kies versorgten.
Carmine Alfieris territoriale Macht in seinem Heimatort Nola war so unbestritten, dass niemand auch nur im Traum daran dachte, ohne seine freundliche Vermittlung einen Auftrag zu vergeben. Sämtliche Güter des modernen Gangsterimperiums flossen durch Alfieris Hände: Schmiergelder und Wählerstimmen, Drogen und Beton, Aufträge und Waffen. Bei nur einem Einsatz gegen einen von Alfieris Leutnants in der Gegend von Sarno und Scafati im Südosten des Vesuvs verhaftete die Polizei einen ehemaligen Bürgermeister, den Leiter einer örtlichen Gesundheitsbehörde und drei Bankmanager.
Das Busmassaker in Torre Annunziata, das Alfieris Vormachtstellung in der Camorra von 1984 bestätigte, zumal es in einem beliebten Touristenort stattfand, sorgte dafür, dass sich Politiker und Medien wieder einmal gegen die Brust trommelten. Der italienische Staat schien in den Straßen die Kontrolle verloren zu haben, sein Machtmonopol befand sich in der Hand von Gangstern, die einen Großteil Süditaliens und Siziliens in einen blutigen Sumpf zerrten. Früher lautete die Frage: »Wann ist das alles zu Ende?« Jetzt fragte die Presse: »Wann sind wir am Tiefpunkt?«
Die Antwort lautete: noch nicht. In ganz Kalabrien bekriegten ’Ndranghetisti in den 1980 er Jahren sich gegenseitig in einer schier endlosen Folge lokaler Revierkämpfe. 1985 brach in Reggio Calabria ein weiterer Großbrand aus. Diesmal ging es um die Kontrolle über den Drogenhandel und das Bauwesen. Der sogenannte zweite ’Ndranghetakrieg begann mit einem Knall: Am 11 . Oktober 1985 explodierte in Villa San Giovanni, einem hässlichen Fährhafen nördlich von Reggio, ein mit Dynamit vollgestopfter Fiat 500 und riss drei Menschen in den Tod. Die Zielperson, der lokale Boss Antonio Imerti, auch
nanu feroce
(»grimmiger Zwerg«) genannt, überlebte. Doch das kriminelle Kräftegleichgewicht vor Ort, das seit dem Ende des vorangegangenen Krieges im Jahr 1976 bestanden hatte, war zerstört.
Im ersten ’Ndrangheta-Krieg war Paolo De Stefano zum Oberboss in der Stadt Reggio Calabria und Umgebung geworden. De Stefanos Autorität in der Stadt war von den regionalen Institutionen der ’Ndrangheta abgesegnet worden. Er lebe, um Gerechtigkeit zu üben, prahlte er vor einem seiner Leutnants, denn er sei »der bewaffnete Gesandte der Madonna von Polsi«, die sich seiner bediene, »um den ehrlosen und intriganten Abschaum in der ’Ndrangheta auszulöschen«.
De Stefano hatte versucht, den »grimmigen Zwerg« zu töten. Zwei Tage später fuhr er auf seinem Motorrad durch Archi, das schäbige neue Stadtviertel in Reggio Calabria, das seine Festung war, als die Killer ihn einholten.
Nach Paolo De Stefanos Tod zerfiel die Unterwelt in Reggio Calabria erneut in zwei Lager und stürzte sich in einen sich schier
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