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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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Mafiaverbrechen mit einem institutionellen Gedächtnis ausgestattet worden. Falcone hatte sein Land endlich vom Fluch der Amnesie erlöst und es in die Lage gebracht, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
     
    Während sie in banger Erwartung die Entwicklungen in Rom beobachteten, war den sizilianischen Mafiosi bewusst, dass das Urteil des Obersten Gerichtshofs zum Mammutprozess, das Anfang 1992 fällig war, von maßgeblicher Bedeutung für ihre Zukunft wäre. Eine Bestätigung des Buscetta-Theorems würde einen folgenschweren juristischen Präzedenzfall schaffen, weil damit die Existenz der Cosa Nostra als krimineller Geheimbund bestätigt wäre. Die Bosse der Palermer Kommission hatten auch persönliche Gründe, die Erwägungen des Obersten Gerichtshofes genau zu verfolgen: Den meisten drohten irreversible lebenslange Haftstrafen. Ein aus Sicht der sizilianischen Mafia falscher Ausgang des Mammutprozesses wäre auch ein katastrophales Fazit für Totò Riinas Leitung der Ehrenwerten Gesellschaft. Zehn Jahre beispiellosen Gemetzels hatten die Cosa Nostra der Gefahr ausgesetzt, vor Gericht ihre schlimmste Niederlage zu erfahren. Gegenmaßnahmen waren bereits geplant.
    Am 9 . August 1991 war der kalabrische Richter Nino Scopelliti vom Strand auf dem Weg nach Hause, als er auf der Straße mit Blick auf die Meerenge von Messina in einen Hinterhalt geriet. Scopelliti sollte im Mammutprozess vor dem Obersten Gerichtshof die Anklageschrift verlesen. Bis heute ist dieser Mord ungeklärt. Wahrscheinlich ist, dass die Cosa Nostra die ’Ndrangheta gebeten hatte, ihn aus Gefälligkeit zu töten. Man nimmt an, dass der Friede, der etwa um dieselbe Zeit den zweiten ’Ndrangheta-Krieg endlich beendete, von der Cosa Nostra als Teil der Übereinkunft ausgehandelt worden war. Heute kennzeichnet ein Denkmal die Stelle, wo Scopellitis BMW zum Stehen kam: Es zeigt einen knienden Engel mit Flügeln, die Waage der Gerechtigkeit in Händen.
    Totò Riina machte seinen Männern diverse Versprechen. Die mafiahörigen Politiker, sagte er, vor allem der »junge Türke« Salvo Lima, würden die richtigen Strippen ziehen, um sicherzustellen, dass die letzte Runde im Mammutprozess zu ihren Gunsten ausginge. Der Fall sollte einer Abteilung des Obersten Gerichtshofs übertragen werden, in der Richter Corrado Carnevale den Vorsitz hatte, dessen Neigung, Mafiaurteile wegen juristischer Haarspaltereien zu kippen, ihm in den Zeitungen den berüchtigten Beinamen »Urteilsmörder« eingebracht hatte. Richter Carnevale machte kein Hehl aus seiner Abneigung gegen das Buscetta-Theorem.
    Ungeachtet dieser Versprechen wusste die Cosa Nostra gegen Ende 1991 , dass der Kampf um den Mammutprozess so gut wie verloren war. Im Oktober konnte Falcone erwirken, dass die Anhörungen zum Mammutprozess nicht der Abteilung des Urteilsmörders zugewiesen wurden. Riina rief seine Männer aus ganz Sizilien zu einem Treffen unweit Enna zusammen, im Zentrum der Insel, um mit ihnen die Reaktion der Organisation auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs zu besprechen. Es sei an der Zeit, zu den Waffen zu greifen, sagte er. »Zuerst müssen wir Krieg führen gegen den Staat, und anschließend den Frieden gestalten.« Die ruhenden Todesurteile der Mafia gegen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino wurden reaktiviert. Wie sie es immer getan hatte, wollte die Cosa Nostra mit dem Gewehr in der Hand Verhandlungen führen. Doch diesmal war der Einsatz höher als jemals zuvor.
    Am 30 . Januar 1992 verkündete der Oberste Gerichtshof sein Urteil und bestätigte damit die ursprünglichen Entscheidungen des Mammutprozesses. Das Buscetta-Theorem war zur Tatsache geworden. Die Cosa Nostra existierte vor dem Gesetz. Als ihn die Nachricht erreichte, befand sich Giovanni Falcone gerade im Justizministerium und unterhielt sich mit einem Richter aus Japan, der eigens angereist war, um seinen Rat einzuholen. Falcone erklärte ihm lächelnd, was das endgültige Ergebnis des Mammutprozesses bedeutete: »Mein Land hat noch nicht begriffen, was geschehen ist. Dies ist ein denkwürdiger Moment: Dieses Ergebnis hat den Mythos zerstört, dass die Mafia nicht bestraft werden kann.«
    Auch Falcones Feinde erkannten, wie bedeutsam das Urteil des Obersten Gerichtshofs war. Totò Riinas Brutalität hatte die Cosa Nostra von ihren politischen Beschützern abgeschnitten. Man würde seine Führung in Frage stellen, sein Leben wäre verwirkt. Der Boss der Bosse erklärte, dass die Cosa Nostra verraten worden

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