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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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von einem Mann, der sein Schicksal teilte.
    Am Abend des 23 . Juni 1992 , einen Monat, nachdem Giovanni Falcone in seinen Armen gestorben war, erhob sich Paolo Borsellino in seiner Pfarrkirche, Santa Luisa di Marillac, um seines großen Freundes zu gedenken. Als er sich zur Kanzel begab, standen die vielen hundert Menschen, die sich in dem von Kerzen beleuchteten Kirchenschiff drängten, spontan auf, um ihm Beifall zu klatschen. Viele hundert mehr klatschten draußen, vor der Kirche. Sieben Minuten später setzte Borsellino mit unsteter Stimme zu einer der anrührendsten Reden in der italienischen Geschichte an.
    »Während er seiner Arbeit nachging, war sich Giovanni Falcone bewusst, dass die Macht des Bösen, die Mafia, ihn eines Tages töten würde. Während sie ihrem Mann zur Seite stand, war sich Francesca Morvillo bewusst, dass sie sein Schicksal teilen würde. Während sie Falcone beschützten, waren seine Leibwächter sich bewusst, dass auch ihnen Gefahr drohte. Giovanni Falcone hatte nicht vergessen, welcher Gefahr er ausgeliefert war, und konnte es auch gar nicht, weil nämlich so viele seiner Kollegen und Freunde, die vor ihm denselben Weg gegangen waren, ihr Leben bereits verloren hatten. Warum ist er nicht davongelaufen? Warum hat er diese erschreckende Situation hingenommen? Warum war er nicht beunruhigt? (…)
    Aus Liebe. Sein Leben war Liebe zu dieser Stadt, seiner Stadt, Liebe zu dem Land, in dem er geboren war. Liebe bedeutet im Wesentlichen Geben. Palermo und seine Menschen zu lieben bedeutet, ihnen etwas zu geben, etwas, das sie moralisch, intellektuell und beruflich weiterbringt, damit Palermo und das Land, zu dem es gehört, besser werden.
    Falcone begann hier in dieser Stadt eine neue Arbeitsweise. Damit meine ich nicht nur seine Ermittlungstechnik. Denn er wusste durchaus, dass die Bemühungen von Justiz und Polizei mit den Gefühlen der Menschen übereinstimmen mussten. Falcone glaubte, dass das erste Problem, dass es in unserem schönen und elenden Land zu lösen galt, der Kampf gegen die Mafia sei. Doch durfte dieser Kampf sich nicht in distanzierten, repressiven Maßnahmen erschöpfen: Er musste zu einer kulturellen, moralischen, ja, religiösen Bewegung werden. Jeder sollte davon betroffen sein, und jeder sollte erfahren, wie erfrischend die Freiheit duftet, vergleicht man sie mit dem Gestank von moralischer Kompromissbereitschaft, von Gleichgültigkeit, von einem Leben in Eintracht mit der Mafia und damit in Komplizenschaft mit ihr.
    Ein jeder hat das Recht oder besser die heilige Pflicht, diesen Kampf fortzusetzen. Falcone ist tot, doch seine Seele lebt weiter, genau wie unser Glaube es uns lehrt. Wenn unser Gewissen nicht schon erwacht ist, dann muss es jetzt erwachen. Die Hoffnung lebt, dank seines Opfers, dank des Opfers seiner Frau, dank des Opfers seiner Leibwächter (…) Sie sind für uns alle gestorben, für die Ungerechten. Wir stehen in ihrer Schuld und müssen sie mit Freuden bezahlen, indem wir ihr Werk fortsetzen, unsere Pflicht tun, das Gesetz achten – auch wenn das Gesetz Opfer von uns verlangt. Wir müssen uns weigern, nach den Vorteilen zu schielen, die uns das Mafiasystem verschaffen könnte (einschließlich der Gefälligkeiten, der Fürsprache an relevanter Stelle und der zugeschanzten Posten). Wir müssen mit der Justiz zusammenarbeiten, Zeugnis ablegen von den Werten, an die wir glauben – an die zu glauben wir verpflichtet sind –, selbst im Gerichtssaal. Wir müssen auf der Stelle alle Geschäftsverbindungen, alle finanziellen Kontakte – auch die scheinbar harmlosen – mit den Vertretern von Mafiainteressen abbrechen, ob groß oder klein. Wir müssen dieses schöne, wenn auch belastende geistige Vermächtnis akzeptieren. Auf diese Weise können wir uns und der Welt zeigen, dass Falcone lebt.«
    Während er diese Worte sprach, wusste Borsellino, dass er als Nächster sterben würde. Er wusste, dass Falcone sein Schutzschild gegen die Cosa Nostra gewesen war. Seine Familie hörte ihn oft sagen: »Zuerst töten sie ihn, dann mich.« Nachdem Falcone ans Justizministerium nach Rom gegangen war, kehrte Borsellino von Marsala nach Palermo zurück, um dort weiterzumachen, wo sein Freund aufgehört hatte. Jetzt galt Borsellino weithin als qualifiziertester Kandidat für die Stelle, die Falcone entworfen hatte: »Superstaatsanwalt«, Leiter der Nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft, die sämtliche Ermittlungen in puncto organisierter Kriminalität koordinierte.

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