Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
kalabrische Gangster, die die florierenden Zuckerrohrplantagen in North Queensland unterwanderten, einen Killer aus dem 2500 Kilometer entfernten Sydney bestellen. Ebensogut konnte man jemanden aus Reggio Calabria nach London schicken, um einen Mord zu begehen. Voraussetzung für stabile internationale Kontakte dieser Größenordnung sind natürlich die unvergleichlichen Möglichkeiten der ’Ndranghetisti von heute, die Gewinne aus dem Kokaingeschäft zu waschen und zu investieren.
Angesichts des globalen Netzwerks der ’Ndrangheta überrascht es kaum, dass Journalisten in Italien sie oft als »Kokainmulti« oder »internationale Holding« bezeichnen. Doch sind dies Begriffe, die allzu stark vereinfachen. Wie der Heroinschmuggel der Cosa Nostra in den 1970 er und 1980 er Jahren ist auch das Kokaingeschäft der ’Ndrangheta kein einzelnes Wirtschaftsunternehmen. Es gibt nicht das eine Zentrum, von dem aus der Drogenhandel abgewickelt wird, auch keinen allgemeinen Kokainkönig. Wenn dem so wäre, fiele es den Polizeikräften auf der ganzen Welt um einiges leichter, die Schuldigen aus dem Verkehr zu ziehen. Drogenhändler müssen ihr Geschäft so geheim halten wie irgend möglich; sie ändern unentwegt ihre Wege und Gewohnheiten, wenn die Behörden ihnen zu nah kommen oder Rivalen auftauchen. Jüngste Ermittlungen lassen vermuten, dass die Schmuggelaktivitäten der ’Ndrangheta sogar noch flexibler und breiter gefächert sind als jene der Cosa Nostra in den Tagen der
Pizza Connection
. Kalabrische Mafiosi haben ein kompliziertes, äußerst flexibles Gefüge aus Zellen und Netzwerken geschaffen, aus mehr oder minder flüchtigen Konsortien und Partnerschaften. Zu Beginn der achtziger Jahre führten Totò Riinas Männer den blutigsten Mafiakrieg in der Geschichte. Es ging dabei um die Kontrolle über die Heroinroute in die Vereinigten Staaten. Bis heute hat es in Kalabrien keinen vergleichbaren Konflikt gegeben. Einer der Gründe ist die Tatsache, dass das Kokaingeschäft einfach zu weit gestreut ist, als dass irgendein kalabrischer Boss, und sei er noch so mächtig, auch nur daran denken könnte, es völlig allein zu bestreiten.
Und doch ist die ’Ndrangheta in Kalabrien, im übrigen Italien und auf der ganzen Welt keineswegs chaotisch oder kopflos. Das ist uns klarer denn je geworden, dank einer der wichtigsten Ermittlungen in der Geschichte der ’Ndrangheta. 2010 gelang es den Carabinieri, heimlich das Große Verbrechen zu filmen …
’Ndrangheta: Das Große Verbrechen
Italien hat es nie an Informationen über die sizilianische Mafia gefehlt. Eine öffentliche Debatte – zuweilen laut, zumeist unproduktiv – begleitete unentwegt jede Etappe der Geschichte des organisierten Verbrechens auf der Insel. Es gab nur eine Phase, in der absolutes Schweigen die Regel war: das letzte Jahrzehnt im Faschismus, als Mussolini sämtliche Berichte über die Mafia in der Presse untersagte. In der Nachkriegszeit steigerte sich die Menge an Informationen exponentiell. Zwischen 1963 und 1976 erstellte der erste parlamentarische Untersuchungsausschuss bereits einen Abschlussbericht, der drei dicke Wälzer und weitere 34 Bände unterstützenden Beweismaterials umfasste. Mittlerweile fördern die verschiedenen lokalen und nationalen Antimafia-Gremien, die Giovanni Falcone ins Leben rief, Tag für Tag diese Menge an Material zutage. Gegenwärtig werden wir auch in Sachen Mafia von Informationen überflutet. Es dauerte sechs Jahre, von 1986 bis 1992 , bis Italien seine traditionelle Weigerung, die Existenz der sizilianischen Mafia in Erwägung zu ziehen, dank des Mammutprozesses von Giovanni Falcone und Paolo Borsellino endlich aufgab. Heutzutage beweisen Polizei und Carabinieri jeden Tag ihre Präsenz, in jedem italienischen Heim, indem sie essentielle Szenen ihrer Einsätze auf YouTube posten. Jedermann kann sehen und hören, was die Carabinieri der Operation Perseus sahen und hörten, als die Palermer Bosse sich 2008 versammelten, um wieder eine
Art
Kommission einzusetzen.
Auch über die Camorra gibt es ausreichend Nachrichten, Kommentare und Dokumentationen. Kaum hatte das Neapel der Nachkriegszeit seine Scheu überwunden, das »C«-Wort in den Mund zu nehmen, wurde über die Großtaten von Camorristi ausführlich berichtet – zumindest auf lokaler Ebene, zumindest für jene, denen es nicht gleichgültig war. Zu Beginn der 2000 er Jahre machten dank Roberto Savianos Buch
Gomorrah
neapolitanische Gangstergeschichten auch
Weitere Kostenlose Bücher