Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
vom 6 . auf den 7 . Januar 1988 wurde ein in Panama registriertes Handelsschiff namens Big John vor der Westküste Siziliens abgefangen. In seiner aus Düngemitteln bestehenden Fracht waren 596 Kilogramm reines kolumbianisches Kokain versteckt – wie es ein Informant innerhalb des zuständigen Drogenrings Giovanni Falcone mitgeteilt hatte. Die Cosa Nostra hatte, wie sich herausstellte, etwa zwölf Millionen Dollar für die Drogen bezahlt und das Geld beim Abgesandten des Medellín-Kartells in Mailand hinterlegt. Die Untersuchung namens
Big John
ergab, dass die Cosa Nostra, jetzt fest in der Hand Totò Riinas, versuchte, Sizilien in das zu verwandeln, was seither Spanien gewesen war: der wichtigste Einfuhrhafen für südamerikanische Drogen, die für den europäischen Markt bestimmt waren. Der Verlust der
Big-John
-Fracht war nicht nur ein großer finanzieller Verlust für die Sizilianer: Er war auch eine mächtige Blamage. Als die Nachricht publik wurde, erfuhr die amerikanische Cosa Nostra, dass ihre sizilianische Schwesterorganisation sie aus dem Kokainhandel ausgeschlossen hatte und jetzt direkt mit den kolumbianischen Herstellern Geschäfte machte. Von nun an würden Kokainzwischenhändler der amerikanischen Mafia sich nach verlässlicheren Geschäftspartnern umsehen.
Im zweiten anschaulichen Fall geht es um die Entdeckung von 5500 Kilogramm 82 -prozentigen Kokains im März 1994 in einem Container-Lkw unweit der norditalienischen Stadt Turin. Der Name des Mannes, der die Ladung aus Südamerika exportiert hatte, dürfte vertraut klingen: Alfonso Caruana, vom Cuntrera-Caruana-Clan, den sizilianischen Mafiosi, die nach Amerika ausgewandert und während des Heroinbooms in den 1970 er Jahren maßgebliche Mitglieder des Transatlantischen Syndikats gewesen waren. Bezeichnenderweise war Caruanas Kokain jedoch nicht für seine sizilianischen Brüder bestimmt. Die Cosa Nostra war infolge der Morde an Falcone und Borsellino, Riinas Angriff auf den Staat und einer beispiellosen Flut an Abtrünnigen in Aufruhr. Die Schiffsfracht war vielmehr von einer Art Investmentclub bezahlt und importiert worden, dem die größten Verbrecherfamilien in Kalabrien angehörten. Da die Cosa Nostra für ihre internationalen Drogenpartner zunehmend an Verlässlichkeit verlor und die meisten größeren Camorraclans in Auflösung begriffen waren, bot sich der ’Ndrangheta plötzlich diese bedeutende kommerzielle Gelegenheit, die sie auch prompt ergriff.
2002 knackten Ermittler der italienischen Steuer- und Zollfahndung
Guardia di Finanza
das kodierte Kommunikationsnetz eines internationalen Kokainschmuggelrings, bestehend sowohl aus sizilianischen wie auch aus kalabrischen Gangstern. Die abgehörten Gespräche erzählten die Geschichte zweier Zwischenhändler. Der eine war ein Sizilianer namens Salvatore Miceli: ein Ehrenmann aus der Salemi-Familie – und ein Vertreter der Cosa Nostra. Der zweite war ein Kalabrese namens Roberto »Bebè« Pannunzi; er war im etablierten italienischen kriminellen Netzwerk Kanadas groß geworden und der Vertreter der ’Ndrangheta. Die Namen beider Männer waren bereits mehrmals in Verbindung mit internationalen Kokaingeschäften aufgetaucht. Die beiden waren alte Freunde und auch Geschäftspartner: Der Kalabrese hatte für den Sohn des Sizilianers als Pate fungiert. Doch aus den abgehörten Telefonaten wurde klar, dass der Sizilianer in den frühen 2000 er Jahren nicht weniger als drei Ladungen Kokain verloren hatte, auf Umwegen zwischen Südamerika, Griechenland, Spanien, Holland, Namibia und Sizilien. So waren begreiflicherweise alle anderen, die an dem Handel beteiligt waren, fuchsteufelswild. Der Sizilianer hatte seine Glaubwürdigkeit eingebüßt. Nun stand sein Leben auf dem Spiel. Ermittler fingen ein Telefonat ab, das er mit seinem Sohn führte: »Wir haben unser Gesicht verloren (…) wir haben alles verloren (…) sie können mich jeden Moment erwischen (…) alle haben sie mich im Stich gelassen.«
Kurz darauf wurde der Sizilianer gekidnappt und auf einer Plantage tief im südamerikanischen Urwald festgehalten. Die Kolumbianer wollten ihr Geld zurück. Sein Leben wurde nur gerettet, weil der Kalabrese Roberto »Bebè« Pannunzi ein gutes Wort für ihn einlegte. Doch fortan beschloss die ’Ndrangheta, die Cosa Nostra völlig von ihren Geschäften auszuschließen. 2002 zog der kalabrische Zwischenhändler nach Medellìn, um sich mehreren ’Ndranghetisti anzuschließen, die bereits dort
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