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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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eine einfache, aber maßgebliche Frage zu beantworten. Gab es viele kriminelle Sekten auf Sizilien, oder nur eine einzige kriminelle Freimaurerloge? Eine einzige sizilianische Mafia oder mehrere?
    Kein Sizilianer, der alt genug ist, um sich an die 1980 er Jahre zu erinnern, liest die Worte des Präfekten Malusardi ohne einen Schauder des Wiedererkennens. Denn erst 1983 , nach einem schockierenden Aufwallen mafioser Gewalt, gingen Palermer Ermittler endlich daran, ihr Augenmerk auf die »tatsächliche Zusammenarbeit« zwischen den einzelnen Mafiagruppen im westlichen Sizilien zu richten. Um diese Zusammenarbeit aufzuspüren und zu dokumentieren, bildeten vier spezialisierte Staatsanwälte einen sogenannten Anti-Mafia-»Pool«.
    Im Sommer des darauffolgenden Jahres wurde ein hochrangiger Ehrenmann namens Tommaso Buscetta zum Kronzeugen, nachdem er bei einem Blutbad viele Angehörige verloren hatte. Buscetta, der aufgrund seines transatlantischen Einflusses als »Boss zweier Welten« bekannt war, gab dem Ermittler-Pool einen tieferen Einblick in die Mafia als irgendjemand zuvor. Zu den vielen wichtigen Enthüllungen, die Buscetta lieferte, gehörte das Initiationsritual, dem er sich wie jeder Ehrenmann unterzogen hatte. 1992 akzeptierte ein Urteil des Kassationsgerichts – Italiens Oberster Gerichtshof – die Zeugenaussagen des Bosses zweier Welten; sie bestätigten
zum ersten Mal in der Geschichte
, dass die Mafia kein lockerer Zusammenschluss lokaler Banden war, sondern eine einzige Organisation, deren Mitglieder einander durch einen Treueeid verpflichtet waren bis zum Tod. Es gab nur
eine
sizilianische Mafia.
    Zwei der mutigsten und tüchtigsten Männer Italiens sollten diese Wahrheit bald darauf mit ihrem Leben bezahlen. Nur wenige Wochen nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofes fielen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die führenden Staatsanwälte des Anti-Mafia-Pools, zwei Bombenanschlägen zum Opfer. Tragischerweise hatte sich der Verdacht des Präfekten Malusardi endlich bestätigt – nach über hundert Jahren Blutvergießens. Neuere Forschungsergebnisse sagen uns, dass Italien Malusardis Frage auch sofort hätte beantworten können.
    Die Antwort des Oberstaatsanwalts auf den Brief des Präfekten Malusardi bezüglich der Mafiarituale erreichte Letzteren erst nach über einem Monat – eine seltsame Verzögerung angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit. Die Schlussfolgerungen des Oberstaatsanwalts waren absolut kategorisch.
    »Zweifellos gibt es hie und da auf Sizilien kriminelle Gruppierungen unterschiedlicher Größe. Doch sind sie einander weder verpflichtet noch durch Komplizenschaft miteinander verbunden.«
    Der Oberstaatsanwalt stand dem Vorschlag, es müsse großangelegte Gerichtsverfahren gegen die Mafia geben – die Italiener von heute sprechen von »Maxiprozessen« –, ausgesprochen feindselig gegenüber. Solche Verfahren würden die Autonomie der Justiz mit Füßen treten, protestierte er, und dem politisch motivierten Missbrauch des Gesetzes durch die Regierung Tür und Tor öffnen. Dieses Argument trug den Sieg davon. Auf ganz Sizilien wurden in den darauffolgenden sechs Jahren Mafiosi vor Gericht gestellt, viele von ihnen zum ersten Mal. Doch behandelte man sie wie Mitglieder unabhängig voneinander agierender lokaler krimineller Vereinigungen.
    Der Brief des Oberstaatsanwalts ist oft von Historikern zitiert worden, die Zweifel an der Existenz eines vereinten kriminellen Netzwerkes namens »Mafia« hatten. Falcone und Borsellino mochten die Existenz der sogenannten Cosa Nostra zweifelsfrei bewiesen haben, so ihre Argumentation, doch wäre es naiv, diese Entdeckung auf die Vergangenheit zu übertragen. 1877 sei der Regierung die weit hergeholte Theorie, es existiere nur eine Mafia, aus bestimmten Gründen zupass gekommen, denn schließlich gebe es kaum einen besseren Vorwand für ein autoritäres Durchgreifen als das Hirngespinst einer mysteriösen Geheimsekte von Mördern mit Verbindungen im gesamten Westen Siziliens. Der Oberstaatsanwalt hatte Zugang zu allen verfügbaren Beweismitteln der Polizei über die frühe Mafia, von denen inzwischen eine Menge verschwunden sind. Wenn also jemand, der so viel Einblick besaß, der festen Überzeugung war, dass die verschiedenen Gruppierungen nicht miteinander »im Bunde« waren, wie können wir, aus einer Distanz von über hundert Jahren, seine Schlussfolgerungen in Zweifel ziehen?
    Bei näherer Betrachtung erweist sich der Brief des

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