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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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aus Faenza, und das Paar gab seinen Kindern die patriotischen Namen Italo und Italia. Von 1863 an bestand Sangiorgis Dienst hauptsächlich aus dem Kampf gegen Briganten im Süden. In den primitiven Berggemeinden, in denen er stationiert war, konnten er und seine Frau ihren Sohn Achille nicht immer bei sich behalten. Eine Beförderung war der einzige Weg zu einem weniger mühsamen Leben, doch jede Sprosse die Karriereleiter hinauf musste er in mühsamer Plackerei, über Beziehungen und rührselige Geschichten, dem Griff von Politikern und Bürokraten entwinden. Sangiorgi hatte eine hohe Meinung von sich und verfolgte hartnäckig seine ehrgeizigen Ziele. Ein Präfekt würde später über ihn schreiben: »Er lässt kein Mittel unversucht, um auf sich aufmerksam zu machen.«
    Im Dezember 1874 versuchte Sangiorgi, keinen Geringeren als den Innenminister auf sich aufmerksam zu machen. Seit neun Monaten erledige er in Trapani, an der westlichsten Spitze Siziliens, bereits die Pflichten eines Inspektors, schrieb er. Doch die dauerhafte Beförderung zum Inspektor, die man ihm in Aussicht gestellt habe, sei noch nicht vollzogen worden. Natürlich habe er absolutes Vertrauen, dass das Versprechen eingehalten werde – und keine Minute gezögert, in die eigene Tasche zu greifen, um seinen Polizistensold aufzubessern. Schließlich habe er eine Frau und drei Kinder zu versorgen. Sein »innigster Wunsch« aber sei es, dem Minister mit weiteren Diensten seine Dankbarkeit zu bezeigen und »sich dem Wohlwollen der Königlichen Regierung würdiger zu erweisen denn je«. Könne man ihn nicht »an einen Ort versetzen, wo die Bedingungen von Recht und Gesetz noch mehr zu wünschen übrig ließen?«
    Sangiorgi suchte die Aufregung, und er sollte mehr davon bekommen, als ihm lieb war. Im März 1875 übernahm er den größten, am dichtesten bevölkerten und am heftigsten von der Mafia verseuchten Polizeibezirk auf Sizilien: Castel Molo, im nördlichen Teil der Conca d’Oro gelegen. Innerhalb seiner Verwaltungsgrenzen erstreckte sich die Piana dei Colli – eine fruchtbare Ebene, die auf der einen Seite von den kleinen Bergen im Nordwesten von Palermo begrenzt war, auf der anderen vom Monte Pellegrino, einer einzelnen Felsformation, die im Norden der Stadt an der Küste aufragt. Die Piana dei Colli war gesprenkelt von den Villen und Gärten der Wohlhabenden. Doch waren die Ortschaften hier wie überall in der Conca d’Oro als gesetzlos verschrien. Etwas weiter westlich überwachten die Polizisten von Castel Molo auch die Zitronengärten von Passo di Rigano und Uditore. Diese Satellitendörfer hatten – in Sangiorgis Worten – »wegen ihrer kriminellen Vereinigungen und blutigen Verbrechen eine traurige Berühmtheit erlangt«. Sangiorgi diagnostizierte das Blutvergießen in Castel Molo mit demonstrativer Gelassenheit:
    »Die Mafia beherrschte die Situation, es war ihr sogar gelungen, das Polizeirevier zu infizieren. Man hatte den maßgeblichen Mafiabossen in der Tat Waffenscheine ausgestellt. Immer wenn im Bezirk Castel Molo ein Mord oder ein anderes schlimmes Verbrechen geschah, was häufig der Fall war, wählte die Polizei unter diesen Männern ihre Informanten (…) Sie wandten sich an die berüchtigtsten Mafiosi, wenn sie vertrauliche Informationen zum Tathergang brauchten, was häufig dazu führte, dass arme, ehrliche Familien geopfert wurden, Kriminelle ungestraft davonkamen, und die Allgemeinheit deprimiert und misstrauisch war.«
    Hier hielt man sich offenbar noch immer an die Strategie eines Pakts mit der Mafia, um in Zusammenarbeit mit ihr gegen Kriminelle vorzugehen. Einer der ungeheuerlichsten Fälle dieser Strategie betraf Inspektor Matteo Ferro, den unmittelbaren Vorgänger Sangiorgis als Leiter der Polizeidienststelle Castel Molo. Ferro verband eine enge Freundschaft mit dem Mafioso, der eine zentrale Rolle in Sangiorgis Geschichte spielen sollte: Giovanni Cusimano, seiner dunklen Hautfarbe wegen
il Nero
, »der Schwarze«, genannt.
    Inspektor Ferro hatte schon vor Sangiorgis Amtsantritt eine Menge unternommen, um die Ermittlungen gegen die Mafia von Uditore zu behindern; er hatte sich für
il Nero
eingesetzt, behauptet, er sei kein
capomafia
, sondern »ein aufrechter Mensch, der sich für Recht und Gesetz stark« mache. Dabei hatte »der Schwarze« neben anderen Verbrechen erst vor kurzem einen Großgrundbesitzer gewaltsam dazu gebracht, ihm für die lächerliche Jahresmiete von hundert Litern Olivenöl eine Villa zu

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