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Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)

Titel: Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Dickie
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seine Söhne ebenfalls Mafiosi waren. Mehrere Aspekte seiner Geschichte strapazierten die Glaubwürdigkeit doch allzu sehr. Er versuchte Inspektor Sangiorgi weiszumachen, er sei ein gänzlich unschuldiges Opfer. Nur die Angst habe ihn davon abgehalten, die Polizei über »den Schwarzen« zu informieren, obwohl dieser ihn fast eineinhalb Jahrzehnte verfolgt habe. So wie er seinen ermordeten Sohn Antonino beschrieb, war auch dieser verdächtig.
    »Mein Sohn Antonino war ein sehr mutiger junger Mann. Er hatte zu viel Selbstachtung, um sich hinreißen zu lassen und mit seinen Feinden und den Feinden seiner Familie einen allzu vertraulichen Umgang zu pflegen. Aus diesem Grund hatten ›der Schwarze‹ und seine Verbündeten die Befürchtung, mein Sohn sinne auf Rache.«
    Ein mutiger Mann mit Selbstachtung, der sich nicht terrorisieren lassen wollte. Ein »gutartiger
maffioso
«, um den Begriff des Marchese Rudinì zu verwenden. So stellt die Mafia sich gerne selbst der Außenwelt dar.
    Der Schluss, der Sangiorgi in den Sinn kam, war unerbittlich: Der alte Gambino und seine beiden Söhne wurden nicht
von
der Mafia verfolgt, sie waren
innerhalb
der Mafia in einen Machtkampf verwickelt. Erst als ihnen die endgültige Niederlage drohte, veranlasste der alte Gambino seinen Anwalt, ihn zur Polizei zu begleiten. Sangiorgi sollte das Werkzeug seiner Rache gegen seine früheren Spießgesellen sein; der Staat war gleichsam sein letzter Ausweg, um Rache zu üben.
    Die Angst schärfte vermutlich Sangiorgis Konzentration, als er sich die Geschichte zu Ende anhörte.
    Nachdem er dem alten Gambino das Stück Pferdefleisch geschickt hatte, war
il Nero
Cusimano gezwungen, seinen Feldzug gegen die Gambino-Familie aufzuschieben. Kaum war die Revolte vom September 1866 niedergeschlagen, beschlossen die Behörden, hart durchzugreifen. Da sie befürchteten, sich mit ihrem offenen Angriff auf die Gambinos allzu weit aus dem Fenster gelehnt zu haben, machten Cusimanos Leute Friedensangebote. Gesandte sprachen Gambino an, der immer noch bei Salvatore Licata wohnte, dem Anführer der »Konterrevolutionäre«, um ihm etwas vorzuschlagen, was »der Schwarze« als »Seelenverwandtschaft« bezeichnete: Zwei seiner Leutnants sollten die Paten von Gambinos Enkelkindern werden.
    Widerstrebend – seiner eigenen, sehr selektiven Schilderung der Ereignisse zufolge – habe der alte Gambino dem Vorschlag zugestimmt und beschlossen, den Überfall auf ihn nicht den Behörden zu melden. Aller Wahrscheinlichkeit nach war die »Seelenverwandtschaft« in Wirklichkeit ein Bündnis zwischen Mafia-Blutlinien.
    In Sizilien und einem Großteil des süditalienischen Festlandes heißt der Pate
compare
, was wörtlich »Mit-Vater« bedeutet. Der
comparatico
(»die Mit-Vaterschaft«) war ein Mittel, dessen man sich bediente, um wichtige Freundschaften innerhalb einer Familie zu festigen und die Blutsbande weiter auszudehnen. Oft pflegte ein armer Bauer einen reichen, mächtigen Mann zu bitten, der »Mit-Vater« seines Kindes zu werden, als ein Zeichen der Ehrerbietung und Loyalität. Doch seit den Tagen des alten Gambino und des »schwarzen« Cusimano nutzen auch Mafiosi die Vorteile des
comparatico
: Hochrangige Bosse knüpfen »Seelenverwandtschaften«, ein Mittel, sich innerhalb der Sekte eine Gefolgschaft zu sichern.
    Der erzwungene Aufenthalt der Familie Gambino bei Salvatore Licata während des Aufstands von 1866 hatte eine weitere faszinierende Konsequenz: Der Sohn des alten Gambino, Salvatore, heiratete eine von Licatas Töchtern.
    Natürlich sagte Gambino nichts davon zu Sangiorgi, doch diese Ehe hatte aller Wahrscheinlichkeit nach ebenso politische Gründe wie die »Seelenverwandtschaft« mit dem schwarzen Cusimano: Sie band die Gambinos fest in den Licata-Clan ein. Mafiabosse in der jüngeren, besser dokumentierten Zeit heiraten aus ähnlichen Beweggründen, wie es bei den gekrönten Häuptern Europas jahrhundertelang üblich war: um Kriege zu beenden oder zu verhindern, um militärische Bündnisse zu schließen, um Vermögen und Prestige zu gewinnen und um sich über Generationen hinweg Macht und Reichtum zu sichern.
    Sangiorgi erfuhr, dass die Bosse der Conca d’Oro durch »Mit-Vaterschaften« und Ehen eine
dynastische
Strategie entwickelten. Obwohl sie intensiv mit kurzfristigen Mafiaprojekten befasst waren, mit dem Blutvergießen und Paktieren, die eine Konstante darstellen in der Welt der Mafia, dachten sie auch längerfristig und versuchten, ihre Macht

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