Omertà - Die ganze Geschichte der Mafia: Camorra, Cosa Nostra und ´Ndrangheta (German Edition)
überlassen, die 200 000 Lire wert war. (Eine Miete, die »der Schwarze«, wen wundert’s, nicht zu zahlen bereit war.) Kaum hatte sich
il Nero
in der Villa eingenistet, als ihm nicht nur der freundliche Polizeiinspektor vor Ort, Matteo Ferro, regelmäßige Besuche abstattete, sondern auch ein Wachtmeister der Carabinieri und der Herausgeber der Lokalzeitung
L’Amico del Popolo
. Wer Rang und Namen hatte in der Piana dei Colli, war mit »dem Schwarzen« befreundet.
Bald nachdem Sangiorgi sich in der Polizeistation von Castel Molo etabliert hatte, wurde er aktiv.
»Ich begriff schnell, dass ich eine Methode einführen musste, die in diametralem Gegensatz zu derjenigen stand, die die Polizei bisher angewendet hatte. So begann ich sofort, die Mafia offen zu bekämpfen.«
Ein offener Kampf gegen die Mafia. Die Schlichtheit dieser Worte sollte nicht darüber hinwegtäuschen, wie schwierig diese Aufgabe in Wirklichkeit war. Als Sangiorgi die Waffenscheine der Mafiabosse einzog und ihnen Verwarnungen erteilte, stieß er auf einen Widerstand, wie ihn die Polizei in Neapel bei der Bekämpfung der Camorra nie erlebt hatte: Sangiorgi verwies auf »Senatoren, Abgeordnete, Richter und andere Honoratioren«, die zugunsten der Verbrecherbosse interveniert hätten. In anderen Worten, die Mafia war bereits Teil eines Netzwerks, das bis in die höchsten Ränge von Italiens Regierungsinstitutionen reichte. Sangiorgis Geschichte ist ein Gleichnis dafür, wie schwierig sich ein offener Kampf gegen dieses Netzwerk gestalten kann.
Zunächst erzielte Sangiorgi ausgezeichnete Ergebnisse. »Die Mafia verkroch sich in ihrer Muschel«, erinnerte er sich später, »wir verzeichneten eine Wiedergeburt der öffentlichen Moral und einen markanten Rückgang der Anzahl der Verbrechen.«
Dann, im November 1875 , acht Monate, nachdem Sangiorgi in Palermo angekommen war, wurde ein verkrüppelter alter Mann, der sich schwer auf den Arm eines Anwalts stützte, in sein Büro geführt. Sein Name war Calogero Gambino, und er besaß einen Zitronenhain in der Piana dei Colli, unweit der
borgata
San Lorenzo. Er begann mit den Worten, Sangiorgi stehe im Ruf, ein ehrlicher, energischer Polizist zu sein, weshalb er sich an ihn wende, um Gerechtigkeit gegen die Mafia zu erlangen.
Gambino hatte zwei Söhne, Antonio und Salvatore. Etwa 18 Monate zuvor, am 18 . Juni 1874 , war Antonio überfallen und getötet worden – jemand hatte ihn hinterrücks erschossen, als er im Begriff gewesen war, die Weinreben der Familie zu schwefeln. Nun stand Gambinos anderer Sohn, Salvatore, kurz davor, für den Mord an seinem Bruder verurteilt zu werden. Doch es sei kein »Brudermord« gewesen, erklärte der alte Gambino.
Il Nero
Cusimano habe den einen Sohn getötet und den anderen angeschwärzt: Es handle sich um den letzten schlauen Racheakt der Mafia gegen seine Familie.
Sangiorgi begriff sofort, warum Gambino jetzt zu ihm gekommen war: Giovanni Cusimano, »der Schwarze«, war tot, ein Opfer des fast ununterbrochen tobenden Mafiakrieges um die Kontrolle über die Zitrusgärten. Das blutige Ende von Cusimanos Herrschaft in der Piana dei Colli gab Calogero Gambino die Möglichkeit, seine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen.
Eine Geschichte wie eine Stange politisches Dynamit mit glimmender Lunte. Denn der alte Gambino behauptete außerdem, die Polizei habe der Mafia dabei geholfen, den vorgetäuschten Brudermord zu arrangieren. Erst wenige Wochen zuvor hatte der landesweite Skandal um den einstigen Polizeichef Albanese seinen Höhepunkt erreicht. Trafen Gambinos Behauptungen zu, würden sie beweisen, dass die Korruption nicht mit Albanese verschwunden war; sie würden beweisen, dass die Polizei in Palermo nach wie vor systematisch von der Mafia unterwandert wurde.
Das »Brudermord«-Komplott gegen Gambinos noch lebenden Sohn war nur der Höhepunkt eines Rachefeldzugs, der schon über 14 Jahre währte und zu dem Zeitpunkt begonnen hatte, als Garibaldis Zug der Tausend die Insel Sizilien dem geeinten Königreich Italien angegliedert hatte. Die Mafia habe es auf ihn abgesehen, sagte der Alte aus, weil er wohlhabend und nicht in San Lorenzo geboren sei. Grund für seine Probleme war sein Schwiegersohn Giuseppe Biundi; Biundi war der Neffe des Unterbosses von
il Nero
. Im Jahre 1860 hatte Biundi Gambinos Tochter entführt und vergewaltigt, um eine Ehe zu erzwingen. Einige Monate nach der Hochzeit hatte Gambinos neuer Schwiegersohn einige tausend Lire aus
Weitere Kostenlose Bücher