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Omka: Roman (German Edition)

Omka: Roman (German Edition)

Titel: Omka: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Aschenwald
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aussahen wie fingernagelgroße Nüsschen mit Kerben und ohne Kern. Wahrscheinlich waren sie von irgendeinem Baum, aber Omka, die die Kartons mit den Babysachen nur mühsam halten konnte, hatte jetzt keine Zeit, den Baum zu suchen, von dem die Nüsschen oder kleinen Zapfen oder was immer es auch war, stammten. »Da, Mama«, sagte Jonas, und Omka erwiderte: »Mama hat jetzt eben keine Hand frei, steck sie ein und komm mit.« Jonas hielt sich am Mantelsaum von Omka fest, die bei Velinka läutete, man hörte das mechanisch-scheppernde Summen des Türöffners, und Omka drückte die schwere Tür mit dem Rücken auf, um zuerst Jonas hereinzulassen, der irgendwie in sich versunken schien, sie hielt die Tür auf und sagte: »Jetzt mach schon, Zwergenfürst, komm rein!« Langsam ging das Kind an ihr vorbei, es schien über irgendetwas nachzudenken, Omka drückte den Knopf vom Lift, der sich mit einem dumpfen, klopfenden Geräusch in Bewegung setzte, vor ihnen zum Stillstand kam, die Tür schob sich auf, und Omka ließ das Kind wieder vorgehen. Im Lift, der sich ruckartig in Bewegung setzte, stellte sie endlich die Kisten auf den Boden, die zwar nicht schwer, aber groß und unpraktisch zu tragen waren, sie atmete erleichtert aus und wischte sich mit dem Ärmel ihres Mantels über die Stirn, als ihr Blick wieder auf Jonas fiel, der sie nachdenklich anschaute und plötzlich in einer Bewegung innehielt. Omka bückte sich, sah das Kind an und erschrak.
    »Was hast du da im Mund?«, fragte sie, und die Erregung seiner Mutter, die Schnelligkeit, mit der sie sich zu ihm hinabgebückt hatte, und der plötzliche Eindruck von Gefahr brachten Jonas dazu, dass er sich verschluckte. Er begann leicht zu husten, und Omka klopfte ihm auf den Rücken, die kleine Faust fiel ihr auf, sie bog seine Finger mit der anderen Hand auseinander und sah die verholzten Knöllchen darin, es waren aber nur noch zwei.
    »Spuck es aus«, sagte Omka panisch, »Jonas, hörst du? Spuck es aus!« Aber er klemmte die Lippen zusammen, und Omka packte ihn an der Schulter. Er begann, hustend zu schreien, und sie steckte ihm einen Finger seitlich in den Mund, konnte aber nichts finden. Es war schon oft vorgekommen, dass Jonas etwas in den Mund genommen hatte, was er nicht sollte. Omka hatte ihm schon Filzstiftkappen, Wäscheklammern, Medikamentenfläschchen, Geldstücke weggenommen, die er entweder schon im Mund hatte oder die auf dem besten Wege dahin waren, und es wäre nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er sie tatsächlich verschluckt.
    »Mach den Mund auf«, sagte sie nochmals mit dem Ton eines verzweifelten Befehls. Jonas drehte sich weg, und jetzt ging die Tür des Fahrstuhls auf, sie waren im sechsten Stock angelangt, Omka kniete im Fahrstuhl, schob die Kartons in die Leuchtschranke der Tür, damit sie nicht zuging, und nahm das Kind mit festem Griff, um es zu sich zu drehen. Sie schaute ihm ernst in die Augen, er hatte aufgehört zu husten, und Omka hielt ihm die geöffnete Hand vors Gesicht.
    »Jonas«, sagte sie »spuck es aus. Bitte!« Die Fahrstuhltür wollte sich schließen, drückte die Kartons zusammen und öffnete sich wieder. Jonas schaute seine Mutter an und machte den Mund weit auf, streckte die Zunge heraus, sie sah die sehr weißen, neuen Zähnchen, den hellrosa Rachen, die Zunge, die aussah wie mit tausend Tupfen übersäht. Da war nichts. Das konnte nur bedeuten, er hatte es verschluckt.
    »Raus«, sagte Omka, »komm, raus hier.« Und schob die Kisten weiter, hob Jonas hoch, und eine Mischung aus Angst und Ärger überfiel sie. Keine zwei Minuten konnte man etwas anderes machen, einmal nicht aufzupassen schien fast so etwas wie ein Todesurteil für ein kleines Kind zu sein. »Fast könnte man den Eindruck bekommen, sie wollen gar nicht am Leben bleiben«, dachte Omka verärgert, »alles stecken sie in den Mund, überall fassen sie hin. In die Steckdose, in den glühenden Toaster, in den geöffneten, heißen Backofen. Und die ganze Zeit ist man damit beschäftigt, achtzugeben, dass sie sich nicht selber schaden! Das ist doch verrückt«, dachte sie, um im nächsten Moment wieder Angst zu bekommen. Sie drückte die Klingel von Velinkas Wohnung, die glücklicherweise nur zwei Schritte von der Fahrstuhltür entfernt war, die Kartons standen noch davor, aber das war Omka jetzt egal. Man hörte leise, feine Schritte hinter der Tür, und Velinka öffnete.
    »Ach, Frau Grentshäuser, Sie waren aber schnell – und Jonas, na ist alles …«

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