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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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mir einen Euro zu.
    »Danke sehr, Wiedersehen. Wiedersehen, Tschüss. Wiedersehen.«
    Zwei Euro von einem Amerikaner.
    »Thank you, Sir. Bye-bye! Wiedersehen, Tschüss.«
    Eine Handvoll Messing.
    »Danke sehr, thank you. Tschüss, bye-bye!«
    Der Bayer und seine Frau kamen an den Ausgang.
    »Junger Mann, jetzat muass i Sie wås frong.«
    »Bitte sehr«, sagte ich und setzte mein Netter-junger-Mann-der-sich-alles-merken-kann-Lächeln auf.
    »Des mit dem … äh … oiso … mit dem Palast und der DDR und dera Grenzn.«
    Er sprach starken Dialekt. Ich verstand nur einzelne Wörter, während andere Passagen aus bayerischen Fantasiewörtern zu bestehen schienen.
    »Des mit dem Hoadabazl funem Zacherkroigl am Bengabrezl. Hey! Des is scho immer der Oberschlogl inner DDR gwen. Då an der Grenzn.«
    Wenn ich mein passives Sprachverständnis ausschaltete, klang es fast wie Rätoromanisch oder Kroatisch. Ich verstand nichts und nickte höflich.
    »Oder war des am Zedlboidl allawella? Oder wie is des?«
    Scheiße, jetzt muss ich auch noch antworten.
    »Ähm …«, zögerte ich. »Die Grenze war von 1961 bis 1989 scharf bewacht. Da kam niemand durch, auch nicht auf dem Wasserweg.«
    »Jåjå, des is klar«, sagte der braunbärenförmige Mann. »Åber des muass doch mit dem Sesta-Olawai aufm Hodldidl net oiwei so perdaschnaktl wern.«
    Was wollte der Mann? Wollte er sich beschweren? Etwas fragen? Hinter ihm liefen die Touristen vorbei, und ich verpasste mein Trinkgeld. Mit dieser alten Amerikanerin ging bestimmt gerade ein Fünf-Euro-Schein an mir vorbei.
    »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Sie meinen die Grenze? Was ist mit der Grenze?«
    »Wanns dLeit derschossn håm, des håt mitm Fidlbatzi zum Heidldinga scho immer net atzerbatzer.«
    »Ja, äh … Die Mauer ist 1989 gefallen«, sagte ich.
    Seine Frau schaltete sich ein:
    »Wiggerl, lass doch den Mann, der ist bei der Arbeit.«
    »I håb zoit, då will i a Antwort.«
    »Aber worauf denn?«, fragte ich. Jetzt wurde er ungeduldig:
    »Herrschaftszeiten! Der Fidlbatzi zum Heidldinga an der Grenzn. Wie war des jetz?«
    Wie sehr wünschte ich mir in diesem Moment die Untertitel, mit denen 3sat solche Sprecher einer Privatsprache für schlichte Hochdeutschsprecher wie mich verständlich machte.
    »Tut mir leid, darüber weiß ich leider nichts«, sagte ich. Trinkgeld war hier sowieso nicht zu erwarten. Solche Gäste fragten nur und gaben nie.
    »Bah«, sagte der Bayer und drehte sich um. Gott sei Dank! Er hatte gerade für mindestens zehn Euro unverständliches Zeug gebrabbelt. Eine Handvoll Gäste war noch auf dem Schiff. Vielleicht war hier doch noch etwas zu holen.
    »Wiedersehen. Tschüss. Wiedersehen, Danke. Bye-bye!«
    Doch er war noch keine zwei Meter gegangen, da drehte er sich wieder zu mir um.
    »Ah, eins noch, eins noch.«
    Oh nein!
    »Da an der Synagogn und mitm Spatzldudl beim Zengerfoidl obibringa.«
    Was denn mit der Synagoge jetzt? Wovon redet der Problembär? Ich konnte nur meine Standardsätze herunterbeten.
    »Die neue Synagoge in der Oranienburger Straße wurde im Jahr 1861 eröffnet.«
    »Des is mir wurscht. Des mit dem Obibrenna, dass des olaweil etz nur vom Weitabatschl.«
    Hä?
    Ich hatte eine Idee. »Do you speak English?«, fragte ich.
    Wieder seine Frau:
    »Wiggerl, jetz gemma, ge.«
    Offensichtlich kannte sie diese Angewohnheit ihres Mannes, unbescholtene Preußen an seinem Weltenunglück teilhaben lassen zu müssen. Der Problembär wurde sauer: »Olaweil des Gred mit am Singdudl am Bogabegl. Da muass i mir net olaweil vom Holocaust verzähln lassn, hey!«
    Ach, das war das Problem. Der Problembär war ein Schlussstrichler.
    »Überoi nur Holocaust, Holocaust, i kanns nimmer hearn. Ois ob mir koa andere Probleme hattn. Mir san jetzat seid drei Tåg in Berlin. Irngdwann muass doch amal a Rua sein.«
    Ich setzte zu einer Antwort an:
    »Entschuldigen Sie, aber vielleicht liegt das daran, dass Berlin im Dritten Reich …«
    »Wiggerl, jetz gemma«, sagte seine Frau und packte ihn am Arm.
    »Des woit i Eana nur sång«, rief mir der Bayer noch zu, bevor er von seiner Frau weggezerrt wurde.
    Die Gäste waren mittlerweile alle weg. Ich zählte vier Euro zwanzig Trinkgeld. Verflucht.
    Ein noch herumstehender Amerikaner sprach mich an:
    »’scuse me. What language did that man speak?«
    »Rätoromanisch«, antwortete ich.
    »Romanian?«, fragte er.
    Ich erklärte ihm, dass Rätoromanisch eine Sprache sei, die nur von einigen zehntausend Bewohnern in den

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