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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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Möchtegern-Großmuftis in Deutschland herumärgern zu müssen.
    Es hatte die gesamte Kraft Europas gebraucht, um den kleinen dicken Mann wieder loszuwerden und ihn letztendlich auf eine Insel im Südatlantik zu verbannen, wo er den ganzen Tag am Jet-Ski-Verleih sitzen und auf Kunden warten musste, bis er starb.
    Preußen aber hatte ein paar Reformen durchgedrückt und sich schnell wieder aufgerappelt, hatte viele Gebiete im Osten und Westen dazugewonnen und dachte sich: Jetzt wo die Österreicher nicht mehr Kaiser sind, können wir doch eigentlich unser eigenes Deutschland aufmachen. Die Austriasen hat sowieso noch nie jemand gebraucht: diese verlogene, aufgesetzte Habe-die-Ehre-Freundlichkeit, diese zwanzigtausend Kaffeesorten, die kein normaler Mensch auseinanderhalten kann, und dann dieser saudumme Dialekt, der immer so widerlich schmierig klingt. Und katholisch sind sie auch noch.
    So hat Preußen erst gegen Österreich Krieg geführt und hat haushoch gewonnen, weil sie diese tollen neumodischen Gewehre hatten, die man so schick im Liegen von hinten laden konnte, während die Austriasen sich in der Schlacht zum Affen machten, weil sie noch wie die Musketiere von vorne Pulver und Kugel im Lauf feststopfen mussten, was nur im Stehen ging, und sich dabei reihenweise selbst ins Gesicht schossen.
    Dann hat Frankreich wegen einer albernen spanischen Erbfolgeangelegenheit Preußen den Krieg erklärt, den Preußen wiederum gewann und damit dafür sorgte, dass man bis heute im Elsass als Letzter bedient wird.
    Boah, dachte sich der Rest Deutschlands da, wenn ihr den Franzmann habt hauen können, dann machen wir jetzt auch mit bei eurem Verein. Und so schlossen sie sich zum Deutschen Reich ohne Österreich zusammen, mit einem preußischen König als Kaiser. So hatte Preußen endlich das, was es wollte: Es beherrschte den ganzen Osten und fast den gesamten Norden Deutschlands, es beherrschte das Denken und die Wirtschaft, und es stellte den deutschen Kaiser.
    Heute gibt es das Land Preußen aber nicht mehr, denn es hatte zwei Mal versucht, alle bisherigen Kriege wie ein Paintballspiel unter schwulen Friseuren aussehen zu lassen. Den ersten Krieg hatte es schon verloren, da wollten die Gewinner, dass Deutschland bis 1988 jedes Jahr 700 Tonnen Gold bezahlt, und haben außerdem vertraglich festgesetzt, dass in Deutschland nur das Cognac heißen darf, was tatsächlich aus dem Städtchen Cognac bei Bordeaux kommt, sodass bis heute Männer in Fernsehwerbungen sagen müssen: »Oh Chantré, mein Lieblingsweinbrand!«
    Beim zweiten verlorenen Krieg (»Sorry!«) dachten sich die Gewinner: Jetzt ist Schluss, zweimal haben wir uns das mit angesehen, nochmal machen wir das nicht mit. Geld und Weinbrand sind uns egal, aber euer Preußen da, das ist ja wohl mal das Allerletzte. Und so schafften sie das Land Preußen ab, verdonnerten Polen dazu, ab jetzt den Ostteil Deutschlands zu verwalten, den Preußen in den vorangegangenen eintausend Jahren ja ohnehin nach und nach von Polen geklaut hatte (»Sorry!«), und haben das übrige Deutschland in zwei Teile geteilt: einen, in dem man klebrige amerikanische Zuckerbrause kaufen konnte, und einen, in dem alle Kinder zwischen zwei und sechs sich gegenseitig beim Kacken zusehen mussten.
    »Sorry!«
    Ja, so war das mit Preußen.
    »Sorry! Young man! What was Prussia?«
    »You know … actually it was … well … back in the Middle Ages, Prussia used to be …«
    »Or was it just a different name for Germany back then?«
    »Yes«, sagte ich. »Yes, you’re right. It was just a different name for Germany. For the north of Germany.«

Kunststückchen
    N ach vier Wochen hatte sich eine Routine eingestellt. Den Text konnte ich mittlerweile im Schlaf, und auch ein paar Gebäude, die im Skript nicht erwähnt wurden, hatte ich in mein Repertoire aufgenommen. Außerdem hatte ich mittlerweile erfahren, dass das Wort »Stadtbilderklärer« keineswegs nur die Fachbezeichnung für einen Ansagensprecher auf einem Ausflugsschiff war, sondern einfach das übliche DDR-Wort für Stadtführer. »Führer« wollte man aber nicht mehr sagen, man hatte da schlechte Erfahrungen gemacht. Die DDR war zwar schon lange tot, aber sie lebte weiter in der Sprache unserer Werktätigen, in der Betonplattenpflasterung Ostberliner Hinterhöfe und im Wirt der Altberliner Kneipe »Zum Zimmermann« auf der Danziger Straße.
    Auch die häufigsten Nachfragen konnte ich jetzt beantworten. Berlin hat 3,45 Millionen Einwohner auf einer

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