On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Kollege.«
Shit! Da hatte ich es wohl etwas zu weit getrieben. Eine Mitbewohnerin hatte mir mal gesagt, dass es bei mir mehrere Phasen des Kennenlernens gebe. Die erste Phase sei ein leiser Verdacht, dass ich nicht ganz normal sei. Dieser Verdacht erhärte sich im Laufe der Zeit zur Gewissheit. Ich könne jedoch meine Chancen auf reibungsarmen Sozialverkehr erhöhen, indem ich in der ersten Phase versuchte, den leisen Verdacht bei meinem Gegenüber gering zu halten und erst dann aufzudrehen, wenn ich mir der Sympathie des anderen gewiss sei.
»Oh … Entschuldigung. Das ist mir so rausgerutscht.«
»Ich hab bei einer Freundin übernachtet, und da musste ich raus. Ist halt so.«
»Ich frag nicht weiter.«
»Dann haben wir uns ja verstanden.«
Für jemanden, der wie ein Obdachlosenzeitungsverkäufer aussah, strahlte er eine ausgeprägte Autorität aus, und ich war ihm in einer Minute schon zwei Mal auf den Schlips getreten, obwohl ich es gar nicht wollte. Es fühlte sich an wie damals in der 7. Klasse, als ich unseren jüdischen Mathelehrer auf dem Schulhof mit »Tach auch« begrüßte, er aber »Dachau« verstand, mich vor versammelter Mannschaft zur Sau machte und mich zum Direktor schickte. Wenn ich es mir nicht gleich am Anfang mit allen Kollegen verscherzen wollte, sollte ich mich hier besser etwas zurückhalten.
Martin nahm eine Zigarettenpackung aus der Tasche, zog einen großen Joint daraus hervor und machte ihn an. Hat mein Eindruck mich doch nicht getäuscht?
»Willste mal ziehen?«
»Äh … nee danke. Ich muss noch arbeiten.«
»Na und? Ich auch.«
»Ja, aber ich kann morgens nicht kiffen. Da bin ich dann den ganzen Tag im Eimer.«
»So funktionier ich halt. Da muss man morgens was reinwerfen, damit die Maschine läuft, sonst macht sie auf halbem Weg schlapp.«
Er nahm einen tiefen Zug und sagte beim Ausatmen:
»Der Palast ist schon geil, oder?«
»Na ja«, antwortete ich. »Ist ja nicht mehr viel da vom Palast.«
»Ja, eben. Sieht doch geil aus. Da müsste man mal hoch, da kann man bestimmt die ganze Stadt sehen. Und dann da oben Jolle pöfen.«
»Was machen?«
»Einen rauchen.«
»Ach so. Vom Fernsehturm aus siehst du aber mehr.«
»Ja, aber da darf man ja nicht rauchen.«
»Stimmt auch wieder.«
Was heißt wieder? Was redete ich da für einen Stuss zusammen?
Zwei Spanierinnen gingen an uns vorbei aufs Schiff.
»Na, Mädchen«, sagte Martin mehr zu mir als zu ihnen. »Wollt ihr mal mitfahren? Soll ich für euch mal den Anker lichten? Oder wollt ihr gleich meinen Steuerknüppel anfassen?«
»Hähähä«, lachte ich. War das die Ebene, auf der ich mich mit ihm treffen konnte?
»Diese Spanierinnen«, sagte er. »Das sind echt die allerwildesten Partymäuse, die du in dieser Stadt finden kannst.«
»Ach so?«, sagte ich.
»Na aber! Die lassen nix anbrennen. Geh mal in die Bar25, da wirst du merken, was ich meine. Von da musst du nie allein nach Hause gehen. Die ganze Hütte voll mit spanischen Austauschstudentinnen. Die sind aber nicht zum Studieren nach Berlin gekommen, verstehste. Bier saufen, rumvögeln und ›rathatha-rathatha‹ brüllen, das machen die hier den ganzen Tag.«
Gut, wenn es sein soll, dann kann ich das auch.
»Die Japanerinnen sollen auch ganz arg sein«, sagte ich. »Machen immer einen auf unschuldiges Mädchen, aber wenn es ernst wird, sind das echt die wildesten.«
»Bist du ein Rassist?«, fragte Martin.
»Was?«
»Ob du ein Rassist bist. Das klang gerade nicht so toll.«
»Entschuldigung. Du hast doch … also …«
»Was hab ich?«
»Du hast doch selber gerade über Spanierinnen geredet, da dachte ich …«
»Jetzt pass mal auf: ein Witzchen über Spanierinnen, schön und gut. Aber was du hier über Japanerinnen erzählst, sind einfach nur Vorurteile. Als ob die alle so wären! Bei den Spaniern ist es anders. Spanier saufen Bier, vögeln rum und brüllen ›rathatha-rathatha‹. Das sind keine Vorurteile, das sind Tatsachen. Außerdem sind das Europäer.«
»Ich wollte nur ’n Spruch machen. Weil du da so …«
»Ach, jetzt bin ich schuld, oder was?«
»Ich hab doch nur …«
»Versuchs nicht«, sagte er.
Da hatte ich mich mal richtig schön in die Nesseln gesetzt. Vielleicht sollte ich einfach aufgeben, aufs Schiff gehen und Martin in Zukunft ignorieren.
Der mir noch unbekannte Bootsmann kam von Bord. Er und Martin begrüßten sich mit Umarmung.
»Na, Alter? Alles klar.«
»Siehste doch«, sagte Martin.
»Habt ihr noch lang gemacht
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