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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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    Zerschlagene Biergläser: 5
    Zahl der Passagiere, die über Bord gekotzt haben: 4
    Zahl der Passagiere, die an Bord gekotzt haben: 3 (geschätzte Dunkelziffer: 6)
    Über Bord gegangen waren: ein Plastikstuhl, eine Sonnenbrille Marke Oakley, zwei Biergläser und ein Rettungsring.
    Ein Besoffener war gegen einen anderen gestolpert, der mit zwei Bier in der Hand an der Reling gelehnt hatte. Die Biere waren ins Wasser geflogen, und der Stolperer hatte »Hilfe! Bier über Bord!« geschrien, den Rettungsring von der Reling gerissen und dem Bier hinterhergeworfen.
    Trinkgeld: 12,72 Euro, 50 dänische Öre und 10 ungarische Forint.
    Klaus schlug mir auf die Schulter und lallte:
    »Junge, heute haste dit richtig gut gemacht. Weisse, die Kunst isses, sich an seine Gäste anzupassen.«
    »Versteh ich nicht«, sagte ich. »Ich hab doch abgebrochen.«
    »Jou! Und dit war genau richtig. Manchmal musste einfach mal die Schnauze halten.«

Martin
    M it Kollegen hatte ich eigentlich nichts zu tun. Natürlich musste ich mit Kapitän, Bootsmann und Kellner einigermaßen auskommen, aber das waren ja keine Fachkollegen im engeren Sinne. »Ich mach meine Arbeit, und ihr macht eure. Ist doch so«, sagte Loriots schwuler Maskenbildner, und selten habe ich mich einem schwulen Maskenbildner so nahe gefühlt wie in dieser Frage.
    Ein paar von den Erklärerkollegen hatte ich kurz kennengelernt, als ich zum ersten Mal auf dem Schiff mitfuhr, um zu sehen, wie sie den Job erledigen. Auf dem Dienstplan standen aber noch zehn andere Namen, denen ich kein Gesicht zuordnen konnte. Andererseits kannte ich ein paar Kollegen vom Sehen, denn wenn sich zwei Schiffe unserer Reederei auf dem Wasser kreuzten, grüßten die Stadtbilderklärer einander mit einer kurzen Geste. Macht man ja so. Kein Busfahrer wird sämtliche BVG -Beschäftigte persönlich kennen, trotzdem grüßen sie sich leger mit der linken Hand, als wären sie Freunde fürs Leben.
    Ich stand vor der ersten Tour um zehn an der Anlegestelle Palast der Republik. Das Mikro war schon eingesteckt, meine Sachen sortiert, und ich hatte noch zehn Minuten Zeit, deshalb tat ich das, was man eben so tut: rumlungern und Leute kieken.
    Ein Herr kam zu mir, der weniger Herr und mehr Typ war: Cargohosen, ausgewaschenes, ehemals schwarzes T-Shirt, unordentliche Frisur, unrasiert. Jetzt stehen die Bettler schon am Anleger, dachte ich. Quatsch mich bloß nicht an, Alter.
    »Hallo«, sagte er mit einer bassigen Stimme, die viel Training durch Bier und Zigaretten erahnen ließ.
    »Ja, Tach«, sagte ich zurück und schaute in die andere Richtung. Geh mir bloß nicht auf die Nerven, Kollege.
    »Ich bin Martin.«
    »Hm«, antwortete ich. Ich bin Martin und verkaufe die neue Obdachlosenzeitung Stütze, oder was?
    »Ich bin dein Kollege.«
    Bin ich hier in Indien? ›Elloh, I am your friend. Wanna see my shop? It’s free entrance.‹
    Ich sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Kommt jetzt noch was?
    »Ach so, Moment«, sagte er, griff in seine Tasche, holte ein Stück Plastik hervor und heftete es sich an die Brust. Scheiße! Er war wirklich mein Kollege. »Martin Brockhausen – Stadbilderklärer« stand auf dem Namensschild.
    »Ach so, äh … sorry«, stotterte ich und gab ihm die Hand. »Tschuldigung, ich hab gedacht … äh … Ich bin Tilman.«
    »Du hast gedacht, ich will dich anbetteln, was?«
    »Naiiin!«, sagte ich mit so viel Überzeugungskraft, wie ich auf die Schnelle aufbieten konnte. »Ich hab gedacht, du hättest mich mit jemandem verwechselt.«
    »Und du hast mich mit einem Straßenbettler verwechselt, was?«
    »Nein. Wirklich. Das … äh …«
    »Passiert mir öfter«, sagte Martin, und ich ließ endlich seine Hand los. »Wenn man ist wie ich, dann ist man öfter mit solchen Vorurteilen konfrontiert.«
    »Äh, nee … das war einfach … ich dachte – also …«
    »Versuchs nicht.«
    Anscheinend konnte man ihm nicht so leicht etwas vormachen.
    »Äh … bist du für diese Tour eingeteilt?«, fragte ich.
    »Nee. Ich fahr mit dem anderen Schiff um halb elf.«
    »Warum bist du denn schon hier?«
    »Ich kann ja auch wieder gehen, wenn ich dich störe.«
    »Nein, nein. Ich … ich wollte nur wissen … vielleicht hat sich ja einer von uns vertan. Aber wenn du das weißt, dann ist das ja …«
    »Ich hab hier in der Nähe übernachtet, und da musste ich schon um halb zehn raus.«
    »Wieso das denn? Hast du im Obdachlosenheim gepennt?«
    Ups.
    »Jetzt hörts aber mal langsam auf mit deinen Sprüchen,

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