On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
erwartungsgemäß noch einmal nach oben. In diesem Jahr lag er besonders touristenfreundlich auf einem Freitag, und ich hatte an jedem Tag dieses langen Wochenendes Schicht.
Es war Freitagnachmittag, und ich stand an der Anlegestelle Friedrichstraße. Zwei geschätzt zwanzigjährige Typen kamen zu mir. Einer sprach mich an:
»Hey! Wo geht man denn hier so hin?«
»Bitte?«
»Na, wo kann man denn hier so hingehen? Abends mein ich.«
»Abends geh ich nach Hause.«
»Nee, so zum Weggehen.«
Offensichtlich kamen die beiden aus einem Ort, in dem es nur eine Lokalität »zum Weggehen« gab, und jetzt suchten sie das Berliner Pendant dazu.
»Ich weiß ja nicht, was ihr wollt.«
»Na, Party. Leute, Musik, Bier und so. Son bisschen undergroundmäßig, verstehsch? Und da dachten wir, hey, der Stadtführer, der weiß bestimmt was.«
Er hatte einen Akzent, den ich als badisch zu identifizieren glaubte.
»Hier gab es mal einen Keller, wo so etwas war, aber der hat zugemacht.«
Das war in der Tat eine der beschissensten Veranstaltungen, auf denen ich je gewesen bin. Auf der Schlossfreiheit, dem Westrand des Schlossplatzes direkt am Ufer des Spreekanals, war ein Loch im Boden, durch das man drei Meter tief in eine alte Kelleranlage hinabklettern konnte. Wahrscheinlich waren Ulbrichts Sprengmeister zu faul gewesen, nach dem Schloss auch noch den Keller abzureißen, oder das Dynamit hatte nicht gereicht. Allerdings gab es dort unten nicht viel, außer dass viele Menschen in mehreren hintereinanderliegenden Gewölbekellerräumen standen und zu lauter Musik Beck’s tranken. Sitzen konnte mannirgends, weil der Boden mit hunderte Jahre altem Staub und märkischem Sand bedeckt war. Seit dem Krieg hatte dort unten nichts von Belang stattgefunden, und hinter jeder Ecke erwartete man einen toten Wehrmachtssoldaten oder den versteckten hundertzwanzigjährigen Adolfittler persönlich. Nach einer Stunde hustete man Staub. Licht gab es nur von in den Mauerlücken stehenden Teelichten, und die Herrentoilette war ein großer Raum, in dem man auf einen Biertisch, einen darauf stehenden kleineren Tisch und einen wackligen Bierkasten steigen musste, um in ein in zwei Metern Höhe hängendes Urinal zu urinieren, während sich am Biertisch die Kokser eine Line legten und immer riefen: »Ey, hör doch mal auf zu wackeln, Alter. Wir wollen hier koksen!« Die Damen waren noch ärmer dran. Sie mussten zu den Dixieklos wieder über die Leiter durch das Loch nach draußen, während ihnen dauernd Leute von oben entgegenkamen. Man musste aufpassen, dass man sich nicht aus Langeweile fürchterlich besoff, denn am Ende des Abends hatte man noch die drei Meter lange Leiter vor sich. Das einzig wirklich Komische an dieser Party war der Anblick von außen. Über dem Einstiegsloch stand ein Gartenzelt und davor eine Schlange von Menschen, die niemals alle in das Zelt gepasst hätten. Trotzdem gingen fünf Leute pro Minute hinein, und niemand kam heraus. Wenn das ein Horrorfilm gewesen wäre, hätte in dem Zelt ein Häcksler gestanden, der kleine rote Stückchen in die Spree gespien hätte. Eine eigentlich völlig überflüssige und langweilige Veranstaltung, aber sicher etwas für aufgekratzte zwanzigjährige Touristen, die zu Hause etwas erzählen wollten.
»Ein Keller, das ist geil! Gibt es den Keller noch?«
»Nee, ich sag doch, der hat zugemacht.«
»Und was gibt es sonst so?«
Nach so einer undifferenzierten Frage hätte ich die beiden am liebsten in den »Henker« geschickt, eine Nazikneipe in Schöneweide.
»Ich weiß ja nicht, worauf ihr so Lust habt.«
»Tja, was gibt es denn in Berlin so?«
»Wollt ihr Swing tanzen oder lieber cool rumstehen? Wollt ihr Drogen kaufen oder Currywurst essen? Steht ihr eher auf Hausbesetzerkneipen mit warmem Sternburg oder Neonlichtcocktailbars, in denen überschminkte Umlandtussis mit riesigen Creolen sitzen und sich über Shopping unterhalten? Wollt ihr nackt zu Achtzigerjahreschlagern tanzen? Habt ihr ein getuntes Auto und wollt mit anderen Prolos Rennen fahren? Oder seid ihr schwul und wollt euch heute noch im Darkroom in den Po ficken lassen? Ich kenn auch einen Regieassistenten, mit dem könnt ihr auf dem Klo in der Kantine der Volksbühne koksen. Der freut sich, wenn jemand mitmacht. Dit is Berlin, hier gibts alles.«
Drei Sekunden lang sah mich der Badener an. Ob sein Kollege auch aus Baden kam, konnte ich nicht feststellen, denn er schien nicht gern zu reden.
»Na ja, es isch so, weisch: Wir ham
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