On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
als würde er alles in sein Notizheft schreiben, was draußen passiert.«
»Oder verliebt.«
»Kifft er noch so viel?«
»Ja, schon. Der raucht schon seine zwei Tütchen pro Schicht. Aber ich glaube, der hat das im Griff. Der liefert hier immer noch erstklassige Touren ab.«
»Ich bin mir da nicht sicher. Gar nicht sicher. Also, ehrlich gesagt, bin ich mir sicher, dass es ihm überhaupt nicht gutgeht.«
Die Tür ging auf, und Martin stand im Raum. Er sah uns ernst an:
»Worüber unterhaltet ihr euch?«
Kurzes Schweigen.
»Ich sage nur hallo, nichts weiter.«
»Nichts weiter?«, sagte Martin.
»Tabaksteuer«, sagte Klaus. »Die Kippen werden zum nächsten Jahr schon wieder teurer. Ist doch ne Sauerei, oder? Sag doch mal! Unseren lieben Kollegen hier scheint das nicht zu stören, der hat anscheinend genug Geld. Für mich ist das aber wirklich ein Einschnitt. Also, wenn das so weitergeht, dann rauche ich halt nicht mehr. Sollen die doch gucken, wo sie dann ihre Tabaksteuer herkriegen. Von mir jedenfalls nicht.«
Martin sah uns fünf Sekunden lang an.
»Aha«, sagte er, drehte sich auf dem Absatz um und schloss die Tür hinter sich.
»Siehst du«, sagte ich.
»Pfff …«, sagte Klaus.
Bevor wir ablegten, suchte ich mir einen Platz etwas weiter hinten auf dem Oberdeck. Martin kam aufs Deck gehetzt, als wir schon fast unter der Rathausbrücke waren.
»Kopp runter!«, brüllte der Bootsmann, und Martin lief gebückt zu seinem Platz und schnappte sich das Mikrofon:
»Guten Tag und herzlich willkommen an Bord, meine Damen und Herren, liebe Kinder und andere Geschöpfe. Zu Beginn gleich eine Warnung: Sie sehen, wie niedrig die Brücken auf unserer Strecke manchmal sind, deshalb bleiben Sie hier auf dem Oberdeck während der gesamten Fahrt bitte sitzen. Wir haben letztes Jahr erst einen Stadtbilderklärer verloren, durch Brückenkontakt. So etwas kann Kopf und Rumpf – na ja, ich sag mal – in einen gefährlichen Dissens bringen. Wir haben ihn, wie es jahrhundertealter Brauch ist, im Becken 2 des Westhafens maritim bestattet. Aber die Rathausbrücke wird sowieso nächstes Jahr abgerissen und durch eine modernere Konstruktion ersetzt, und die soll dann auch deutlich kopffreundlicher sein.«
Ein paar Leute kicherten. Martin hatte zwar eine etwas schnodderige Art zu reden, aber diesen Fauxpas hatte er gerade elegant überspielt. Etwas hektisch, aber immer noch korrekt und beisammen fuhr er mit den üblichen Erklärungen fort. In einer Hand hielt er immer noch sein Notizbuch mit einem Finger zwischen den Seiten, sah aber nicht hinein.
»Das Alte Museum ist ein Bau von Karl Friedrich Schinkel aus den 1830er Jahren. Er hat außerdem eine Reihe von Kirchen, Denkmälern und kleinen Schlössern gebaut. Schinkel wird unter den Berliner Architekten fast wie ein Gott verehrt, und das zu Recht. Was nämlich wenige wissen: Karl Friedrich Schinkel ist auch der Erfinder der Zwiebel. Außerdem hat er an der Entwicklung des grünen Lichts mitgearbeitet, und die Uhrzeit 11:43 Uhr geht maßgeblich auf seine Vorarbeit zurück.«
Wieder lachten ein paar Leute. Auf einmal stand Martin auf und ging schnellen Schrittes ans Heck. Was war eigentlich mit dem englischen Teil, ließ er den einfach weg? Martin sah am Heck hinunter und rüttelte an der Reling. Dann kniete er sich hin, klopfte gegen den Stahlboden und hielt sein Ohr daran, als ob er erwartete, dass ihm vom Inneren des Schiffes jemand antworten würde. Seltsam, seltsam, das alles.
Auch an der Weidendammer Brücke kam noch ein Scherz übers Kopfanstoßen. Selbst die schlechteren Scherze hatten immer noch für einen Lacher gesorgt:
»Brecht ist wohl der berühmteste deutsche Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gewesen, noch berühmter als Kotzt, Reiert oder Übergebteuch.«
Die Gäste schienen gut gelaunt und goutierten Martins Albernheiten. »Anarchischer Humor« würde eine Provinzzeitung schreiben. Nur die wenigen Gäste, die anscheinend nicht Deutsch sprachen, waren not amused und fühlten sich ignoriert, weil sie nicht verstehen konnten, worüber alle anderen lachten.
»Auf dem Großen Stern stehen außer der Siegessäule auch mehrere Denkmäler für große preußische Politiker oder Feldherren. Moltke, das war ein General, Roon, der war Kriegsminister, und natürlich Reichskanzler Otto von Bismarck. Bismarck hatte die Einigungskriege gewonnen und damit Deutschland geeint. In fast jeder deutschen Stadt stehen deshalb Bismarckdenkmäler. Er wird aber bis heute wegen
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