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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Birr
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hielten sich die Hand vor die Augen.
    »Bleib mir vom Leib«, brüllte Martin mich an. »Ihr kriegt mich nicht. Ihr werdet mich niemals kriegen.«
    Ich streckte meine Arme nach vorne, die Handflächen auf ihn gerichtet.
    »Martin, das ist doch alles …«
    Der Hubschrauber donnerte über uns hinweg.
    »Haut ab, ihr Schweine! Ihr kriegt mich nicht«, brüllte Martin wieder und rannte zum Bug. Ein paar Frauen kreischten.
    »Mach keinen Scheiß, Alter!«, rief ich. Er riss sich die Schuhe von den Füßen, warf sie einen nach dem anderen nach mir und sprang mit einem Hechtsprung über Bord.
    »Mann über Bord!«, schrie ich. »Mann über Bord!«
    »Du immer mit deinen gestelzten Ausdrücken«, sagte Klaus, der plötzlich hinter mir stand. »Wir sind hier nicht bei der Marine.«
    Er schlenderte zum Bug, nahm den Rettungsring von der Reling und warf ihn Martin hinterher.
    »Martin! Jetzt mach keine Fisimatenten«, rief Klaus. »Komm mal ran hier, wir müssen ablegen.«
    Martin kraulte um sein Leben und war schon fast am anderen Ufer.
    »Was soll das denn?«, rief Klaus ihm nach. »Wir können doch nicht ohne Quatscher weiterfahren. So ein Stadtbild erklärt sich nicht von allein.«
    »Vergiss es, Klaus«, sagte ich. »Der ist nicht mehr ganz bei sich. Ich glaube, wir sollten die Polizei rufen.«
    Am anderen Ufer kletterte Martin aus dem Wasser. Klaus brüllte zu ihm rüber:
    »Ey, du Arschloch! Wenn du jetzt abhaust, brauchst du morgen gar nicht erst hier aufkreuzen!«
    Ich sah, wie Martin auf dem nassen Ufer ausrutschte und der Länge nach hinfiel, sich wieder hochrappelte und an den Mauern des Kanzlergartens entlang Richtung Hauptbahnhof rannte.
    »Fuck!«, sagte ich.
    »Na, Holla, die Waldfee!«, sagte Klaus.
    Die Gäste waren mittlerweile sehr unruhig geworden. Alles tuschelte, Stirnen wurden gerunzelt und Köpfe geschüttelt.
    »I’ve had just about enough of this«, sagte ein Brite. »This is getting too silly.«
    »Quite agree, quite agree«, sagte sein Kollege. »Silly, silly, silly.«
    »Du musst jetzt weitermachen«, sagte Klaus.
    »Was? Wir sollten eher mal die Polizei rufen. Der ist doch nicht mehr ganz dicht. Am Ende passiert ihm noch was.«
    »Jaja, ich mach das gleich. Hier am Kanzleramt sind sowieso überall Bullen, die werden ihn da schnell aufgreifen. Aber du musst jetzt die Ansagen weitermachen. Tu einfach so, als ob nix wäre.«
    »Äh … ja, gut. Das versuche ich mal.«
    Ich nahm das Mikro zur Hand.
    »Tja, so etwas kann immer mal passieren, liebe Gäste. Da fährt man einmal mit dem Schiff, und dann bekommt man mit, wie ein paranoider Stadtbilderklärer über Bord springt. Da haben Sie zu Hause was zu erzählen.«
    »Das glaubt mir doch eh wieder kein Schwein«, sagte ein Mann.
    Ein großartiger freier Tag. Ich machte die Schicht zu Ende und fuhr nach Hause.
    Dass Martin so fertig war, hatte ich nicht geahnt. Ich hatte noch nie einen Menschen erlebt, der tatsächlich an Verfolgungswahn litt. Das Gute an diesem Tag: Diesmal konnte ich die Geschichte über den verrückt gewordenen Kollegen endlich loswerden, denn es kam kein Swingerclub darin vor.
    Ich saß in meinem Zimmer, als ich den Schlüssel im Schloss hörte. Anna kam hörbar schwer beladen nach Hause. Ich hörte, wie sie in ihr Zimmer ging und die Taschen abstellte, und ging zu ihr hinüber:
    »Hallo, Anna!«
    »Hi.«
    »Sag mal, wollen wir nachher in der Küche noch ein Glas Wein trinken? Ich hatte heute den seltsamsten Arbeitstag, seit ich diesen Job angetreten habe. Das muss ich dir noch erzählen.«
    »Nee.«
    »Wie nee?«
    »Nee, kein Wein.«
    »Ist alles o.k. bei dir?«
    »Ja. Aber ich setze mich nicht mit dir in die Küche.«
    »Wir können auch noch rausgehen, wenn du willst.«
    »Gehst du bitte mal aus meinem Zimmer?«
    Sie machte mir die Tür vor der Nase zu.
    Was war denn da los? So hatte ich sie noch nie erlebt. Dass meine Kommunikationsfreudigkeit auch abends schwer zu ertragen ist, war eine neue Entwicklung, noch dazu von Anna, die sonst wenig aus ihrer guten Laune brachte. Oder war für sie jetzt gerade Morgen?
    Ich holte mir zwei Tegernseer Spezial und guckte noch zwei Folgen »Curb your enthusiasm«. Dann halt alleine.

Wo man hier so hingeht
    M artin tauchte nicht wieder auf. Niemand wusste genau, was mit ihm war, aber in der folgenden Woche stand er nicht mehr im Dienstplan. Dafür war Hans meiner Bitte nachgekommen und hatte mir vier Schichten pro Woche zugeteilt.
    In der Woche um den 3. Oktober ging die Touristenzahl

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