Ondragon - Menschenhunger
Hund! “
„Der ist nicht von mir.“
Ondragon sah sie durchdringend an.
Sie hob die Hände und ließ sie wieder sinken. „Wirklich nicht! Warum sollte ich so etwas schreiben?“
„Hast du eine Idee, von wem er sein könnte?“
Sie schien zu überlegen. „Nein“, antwortete sie kurz darauf.
Schweigen folgte. Und dann fragte sie: „Hast du denn herumgeschnüffelt?“
„Was?“ Ondragon war tief in Gedanken. „Nun, ja … ein bisschen.“
„Was weißt du über mich?“ Kateri ließ nicht locker. Sie hatte den Spieß umgedreht.
„Über dich? Nicht viel. Nur das, was du mir erzählt hast.“
„Hast du mich bloß ausgefragt, um man Informationen zu kommen, oder interessierst du dich wirklich für mich?“
Was sollte den das? Für so etwas hatten sie jetzt keine Zeit. „Wir können später darüber reden. Jetzt sollten wir zusehen, dass wir hier verschwinden.“
„Nein, ich will das wissen!“
Ondragon verlor die Geduld. „Kateri, der Mörder hat von Lymes Leber abgebissen!“ Die schrecklichen Bilder tauchten wieder vor seinem Auge auf. „Er hat von seiner Leber gegessen, kannst du dir das vorstellen? Wie krank muss man sein, um so etwas zu tun?“
Das Licht der Taschenlampe in Kateris Hand erzitterte. „So krank wie ich? Sag ruhig, dass du das denkst.“
„Nein, verdammt! Kateri!“
„Es war er. Der Wendigo. Er hat immer Hunger - Hunger auf Menschenfleisch. Er ist verflucht!“
Ein heißer Schauer jagte Ondragon über die ohnehin schon gereizte Kopfhaut. Wendigo! Hatte Lyme das tatsächlich sagen wollen? Es war schon merkwürdig, dass ein Mann aus der Stadt an solch einen Unfug glaubte. Was, wenn Kateri Recht hatte, und es diese übernatürliche Kreatur wirklich gab? Er dachte an das unheimliche Vieh, das ihn angefallen hatte. Was, wenn das kein Bär gewesen war? Wenn es tatsächlich der Wendigo … warum wehrte er sich so gegen diese Möglichkeit?
Weil es nicht sein kann! , protestierte sein Verstand, der immer nur das glauben wollte, was empirisch belegt war.
Aber fanden Forscher rund um den Globus nicht ständig neue Spezies? Im südamerikanischen Urwald, in der Tiefsee und wer weiß, wo sonst noch. Warum sollte das hier in den abgelegenen Wäldern der USA und Kanada nicht möglich sein? Wenn die Wissenschaft etwas geflissentlich ignorierte, hieß das noch lange nicht, dass es nicht trotzdem existierte.
Das bösartige Stechen im seinem Kopf erinnerte Ondragon plötzlich daran, dass sie noch immer ungeschützt im Wald standen und ein perfektes Ziel abgaben. Sie mussten die Lodge erreichen, erst dann würden sie in Sicherheit sein, und erst dann könnte er in aller Ruhe darüber nachdenken, ob es den Wendigo wirklich gab.
Er nahm Kateri am Arm und zog sie mit sich. „Los, du kennst den Weg, bring uns zur Lodge. Ich will keine Sekunde länger der Lebendköder für Raubtiere sein, ob nun für reale oder eingebildete!“
Sie erreichten die Lodge eine knappe Stunde später ohne weiteren Zwischenfall. Die Lichter der elektrischen Laternen an der Außenfassade glänzten einladend in der Nacht, und nie hatte Ondragon etwas Schöneres gesehen, als dieses vom Menschen erbaute Bollwerk gegen die Gefahren der Wildnis.
Mit großer Aufregung wurden sie am Tresen von Sheila empfangen, denn der Rest des Suchtrupps war schon lange wieder da und erwartete sie seit mehreren Stunden besorgt. Noch bevor Ondragon preisgeben konnte, dass er Lyme gefunden hatte, wurden er und Kateri ohne Umwege in Dr. Arthurs Büro geführt.
Der Psychotherapeut hatte seinen weißen Kittel abgelegt und saß bei schwachem Lichtschein und mit gefalteten Händen an seinem Tisch. Er wirkte wie ein müder, väterlicher Freund, der erleichtert war, sie zu sehen, aber auch bereit, mit ihnen zu schimpfen als seien sie kleine Kinder, die beim Spielen die Zeit vergessen hatten.
„Dr. Arthur, es wäre besser, wir holen Deputy Hase dazu“, kam Ondragon ihm zuvor. Er ließ sich erschöpft auf einen der phobikerfreundlichen Stühle fallen. „Eine Schmerztablette und etwas kaltes Wasser wären auch nicht schlecht.“
Jemand holte ihm und Kateri etwas zu trinken. Ondragon warf sich eine Aspirin ein und stürzte das Glas in einem Zug hinunter.
„Bitte, erzählen Sie zuerst, Paul“, sagte Dr. Arthur, nachdem sein Gegenüber sich über das verschmutzte Gesicht gewischt hatte. „Dann überlegen wir, ob wir den Deputy einschalten.“
Ondragon stieß empört Luft aus und spürte dabei seine angeknackste Rippe. „Was gibt es da
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