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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strohmeyer Anette
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gegen einen heulenden Hillbilly! Ein wahrhaft denkwürdiger Moment im Leben des Paul Eckbert Ondragon, den er sich rot im Kalender anstreichen sollte.
    Wie ferngesteuert griff er plötzlich nach dem eingewickelten Buch, entfernte die Tüte und hielt es schließlich in der Hand, als sei es völlig normal. Ondragon wunderte sich über sich selbst. Er fühlte keinen Ekel, nur ein dumpfes Pochen, das seinen ganzen Körper erfüllte. Einen amtlichen Haschischrausch konnte man nur schwer mit diesem sonderbar schwebenden Zustand vergleichen. Beinahe andächtig fuhren seine Finger über den abgewetzten Lederereinband, als gehörten seine Hände nicht mehr zu seinem Körper, und klappten den Buchdeckel in einer fließenden Bewegung auf. Das knisternde Geräusch der sich öffnenden Papierseiten verhieß Horror und Errettung zugleich.
    Automatisch, weil sein Bewegungsgedächtnis sich offenbar noch gut daran erinnerte, wie es war, ein Buch zu öffnen, glitt sein Zeigefinger in der Mitte über den Falz, um die erste Seite zu glätten. Es war, als fühle er sämtliche mikroskopisch feinen Unebenheiten des Papiers unter seiner Fingerkuppe, in der die Kapillargefäße leise pulsierten. Seine Pupillen verengten sich, als er die dünnen, verschnörkelten Linien der Handschrift des Verfassers zu lesen begann.

    Notizen 1835
    von
    Lieutenant Dorian Edward Stafford
    5. Kavallerie-Regiment
    Seiner Majestät Armee, König Georg IV. von Großbritannien
    stationiert in Fort Frances am Rainy River, Canada

    Immerhin war es in Englisch. Ondragon blätterte um und fand dicht beschriebene Seiten vor. An oberster Stelle waren ein Datum und ein Ort eingetragen: 20.3.1835 - Lake Kabetogama . Danach ordneten sich sämtliche weitere Notizen. Es schien eine Art Tagebuch zu sein, in dem nach Zeit sortierte Beobachtungen festgehalten worden waren. Auf einigen Seiten befanden sich sogar kleine Zeichnungen. Die akkurate Vorgehensweise des Verfassers erinnerte Ondragon fast an seine eigene geheime Buchführung. Deshalb fiel es ihm auch nicht schwer, rasch in die Materie einzutauchen. Bald war er von dem Inhalt des Buches so gefesselt, dass er vergaß, ihn Pete und Momo laut vorzulesen. Erst als der Hillbilly sich räusperte, sah er langsam von den Seiten auf und glitt unmerklich von der einen Welt in die andere. Fasziniert erinnerte er sich daran, wie es sich als Kind angefühlt hatte, Bücher zu lesen. Als sei man ein Reisender, der sich ganz mühelos zwischen den Welten und Zeiten bewegte. Dass das Lesen in einem Buch eine solche verzaubernde Wirkung auf einen Menschen haben konnte ...
    „Mr. On Drägn , sagen Sie, was steht drin?“, fragte Pete aufgeregt.
    „Es ist die Beschreibung eines Verbrechens. Genauer gesagt, die Chronologie von mehreren schrecklichen Morden, die 1835 in dieser Gegend hier begangen worden sind. Und…“ Ondragon zögerte. Das, was in diesem Buch stand, hatte er noch nicht ganz verdaut, aber es war bemerkenswert, wenn nicht sogar sensationell. Die Dinge, die dieser gewisse Lieutenant Stafford beschrieb, besaßen eine geradezu unheimliche Ähnlichkeit mit den Geschehnissen in der Gegenwart. Und wäre das Buch nicht unzweifelhaft alt gewesen, so hätte er geglaubt, dass er einer Fälschung aufsaß. Das Sensationelle an der ganzen Geschichte war, dass das Massaker an der Farmersfamilie Walcott am 20.3.1835 dasselbe Muster aufwies, wie die Morde an Herman und Louisa Parker 1997. Beide Familien waren in ihren einsam gelegenen Hütten niedergemetzelt worden, und jemand hatte von ihrem Fleisch gegessen. Und in beiden Fällen wurde der Wendigo erwähnt. Das Problem war nur, dass Momo Parker, der ja laut Pete der Mörder seiner Eltern war, zu der Zeit der Walcotts noch nicht existiert hatte. Eigentlich konnte kein Menschenleben solange dauern, dass es von 1835 bis 1997 reichte. Wer also hatte die Walcotts umgebracht? Bis auf die Ähnlichkeit der Tatorte gab es keine sichtbare Verbindung zwischen den Morden. Oder doch? Irgendwo musste sie sein. Ondragon ließ die Zentrifuge kreisen. Der Name Parker tauchte in dem Buch auf. War es ein Verwandter von Pete und Momo? Ein alter Vorfahre, der wie Momo vom Wendigo gebissen und infiziert worden war? Wenn ja, dann blieb nur einen Frage: Konnte es eine Art Wahnsinn geben, der in dieser Familie weitervererbt wurde? Ondragon sah zu Momo. Der einzige, der ihm etwas über psychische Defekte erzählen konnte, war Dr. Arthur, und den konnte er unmöglich dazu befragen. Blieb also nur seine eigene

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