Ondragon - Menschenhunger
ist.“
„Natürlich!“
„Dürfte ich ihn sehen? Ich bin da etwas eigen.“
„Na gut, wenn es denn sein muss. Bitte, kommen Sie.“ Sie drehte sich um und verschwand im Büro. Er folgte ihr in den viel zu kleinen Raum, in dem man schon als einzige Person Platzangst bekam. Der Tresor war in die Rückwand eigemauert und stand offen. Ein kleines Modell von Sentry Inc. . Außerdem gab es in dem Raum keine Überwachungskameras.
„So, hier ist er.“ Sheila nahm den Autoschlüssel aus einem kleinen Kästchen im Tresor und hielt ihn Ondragon vor die Nase. „Beruhigt?“
Er nickte und schenkte ihr ein Lächeln aus der Kategorie ‚Netter Kollege‘. Sheila tat den Schlüssel zurück und schloss die Tresortür, verdrehte aber das Zahlenschloss nicht. Ondragon sah die letzte Ziffer der Viererkombination. Es war eine Sieben.
Sie verließen den beengenden Raum, und Sheila wirkte sichtlich erleichtert, als sie wieder den Tresen zwischen sich hatten.
Ondragon wagte einen Vorstoß. „Ich darf nicht zufällig mal einen Blick in Ihre Kartei werfen? Mich würde furchtbar interessieren, wer hier noch …“
„Diese Daten sind streng vertraulich!“ Sheila legte schützend eine Hand auf den Karteikasten und blitzte ihn an. Also waren die Informationen über die Gäste dort drinnen.
„Klar, dachte ich mir.“ Gespielt verlegen trat er von einem Fuß auf den anderen. „Ähm, ich hätte da noch ein Anliegen.“
„Ja?“ Ihre Stimme klang misstrauisch und ihre Haltung war sichtlich angespannt.
„An wen wende ich mich, wenn ich einen neuen Frühstückstisch haben möchte?“
„Sind Sie nicht zufrieden?“ Die Brauen über ihren geschminkten Girlie-Augen zogen sich gereizt zusammen. Er spürte, wie ihre Laune endgültig umschlug. Kurz fiel sein Blick auf ihre Fingernägel. Mit ihr würde er offenbar nie grün werden.
„Doch, doch, der Tisch ist perfekt, nur der Nachbar nicht. Ich will keine Namen nennen, aber ich hätte gerne etwas mehr Privatsphäre beim Essen. Das verstehen Sie doch sicher.“
„Selbstverständlich, Mr. Ondragon. Ich werde Ihren Wunsch sofort an den Restaurantchef weiterleiten.“ Sie sah auf die kleine Uhr auf dem Tresen. „Es ist drei Minuten vor Zehn. Sie haben gleich ihren Termin.“
Nun, das war nicht nett. Damit zog sie eine klare Linie zwischen sich und ihm, dem Verrückten. Diese Linie besagte: Mein Kopf braucht keinen Klempner, Ihrer dafür schon.
Ondragon schürzte die Lippen. Kleines Biest!
„Und wo beschwere ich mich, wenn ich mit dem Personal nicht zufrieden bin?“
„Bei mir!“
War ja klar.
Sheila schob das Kinn vor. „Ihr Termin!“
Ondragon hob kapitulierend beide Hände. „Bin schon unterwegs. Auf bald!“
Mit säuerlicher Verärgerung im Bauch stieg er die Treppe zum zweiten Stock des „Turmes“ hinauf, wo sich Büros und Sprechzimmer befanden. Vor der Tür mit einem großen, polierten Messingschild blieb Ondragon stehen.
„Jonathan A. Arthur, Ph. D., M. D.“, las er und versuchte das aufsteigende Panikgefühl in seiner Brust zu ignorieren. Er straffte seine Gestalt und klopfte an.
Nach einem freundlichen „Herein“, öffnete er die Tür und sah sich dem Mann gegenüber, in den er all seine Hoffnungen legte.
Dr. Arthur erhob sich von seinem bequemen Drehstuhl hinter dem alten Schreibtisch und trat, eine Hand ausgestreckt, einige Schritte auf Ondragon zu, der sich aus Gewohnheit schnell in dem Raum umschaute. Nirgendwo waren überfüllte Bücherregale, staubige Stapel von gebundenem Papier oder eine überbordende Fachbibliothek zu sehen. Nur verschlossene, antike Schränke mit Wurzelfurnier und Schelllackpolitur, ein archaisch anmutender Kamin mit einem Sims aus Feldsteinen, ein alter Karteischrank, auf dem eine Gipsplastik von Diana stand, der griechischen Göttin der Jagd mit Pfeil und Bogen. Ölbilder hingen an den Wänden neben dem großen Fenster, das nach hinten auf den See zeigte. Ondragon roch Politur und gewachstes Nadelholz und entspannte sich ein wenig. Er ging Dr. Arthur auf dem handgeknüpften, persischen Teppich entgegen und schüttelte dessen Hand. Der Mann reichte ihm gerademal bis zum Kinn, aber sein Händedruck war fest.
„Willkommen, Mr. Ondragon. Es freut mich, Sie kennen zu lernen. Bitte nehmen Sie doch Platz.“ Dr. Arthur wies auf einen steril wirkenden Stuhl aus Edelstahl, der ganz und gar nicht zu dem Rest der Einrichtung passte.
„Ich weiß, der Stuhl ist etwas unansehnlich. Er ist sozusagen das hässliche Entlein in meiner
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