Ondragon - Menschenhunger
Einrichtung“, erklärte er mit seinem Very-british- Akzent. „Aber wissen Sie, ich behandle hier auch viele Menschen mit einer Phobie gegen Keime und Infektionen. Solche Personen vermeiden es, sich auf Polster oder ähnlich geartete Oberflächen zu setzen, sie bevorzugen neutrale Gegenstände. Sie würden mir auch niemals die Hand geben wie Sie, Mr. Ondragon.“
Ondragon sah unwillkürlich auf seine Handfläche.
„Aber das ist nicht Ihr Problem, wie ich weiß.“ Dr. Arthur lächelte milde.
Ondragon nickte und setzte sich auf den Stuhl vor den wuchtigen Eichen-Schreibtisch, auf dem eine klassische, grüne Bibliothekslampe brannte. Er spürte ein leichtes Kribbeln in seinem Nacken.
„Ich hoffe, es ist bisher alles zu Ihrer Zufriedenheit?“ Dr. Arthur setzte sich ebenfalls.
Der Mann überraschte Ondragon nicht nur wegen seiner jovialen Art zu sprechen, auch sein Äußeres war verblüffend. Er hatte einen verknöcherten Psychiater alter Schule nach freudschem Vorbild mit Fliege und Nickelbrille erwartet. Stattdessen trug der zweifach promovierte Psychotherapeut und Arzt seine grauen, gelockten Haare lässig zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und ein modisches Musketierbärtchen. Zwar hatte er den obligatorischen weißen Kittel an und darunter eine Weste mit Krawatte ganz im englischen Stil, aber ein einziger Blick in die hellbraunen, ja, fast gelben Augen offenbarte, dass dieser Dr. Arthur alles andere als Normalmaß war.
„Danke, ich fühle mich hier ganz wohl. Die Lodge ist wirklich komfortabel eingerichtet“, entgegnete er und behielt seinen Ärger über Sheila, Mr. Shamgood und die unverschämten Golden Rules vorerst für sich.
„Das freut mich zu hören. Nun, dieses erste Gespräch zwischen uns soll lediglich dazu dienen, uns miteinander bekannt zu machen. Ich lege viel Wert auf eine entspannte Atmosphäre, wie man an diesem Haus erkennen kann.“ Er lächelte. „Deshalb würde ich die Förmlichkeit auch gerne auf ein Mindestmaß reduzieren und Sie Paul nennen, wenn Sie erlauben.“
„In Ordnung, sofern ich vorerst bei Dr. Arthur bleiben darf?“
Dr. Arthur nickte zustimmend und fuhr fort: „In der Cedar Creek Lodge sollen alle negativen Einflüsse des Alltags ausgeschaltet werden, das ist Teil der Therapie, wenn Sie so wollen. Für mich als Therapeut ist erst der Mensch hinter den ritualisierten Verhaltensweisen interessant, die uns das Leben da draußen in der Gesellschaft aufzwingt. Sie, Paul, sind ein Krieger, ein moderner Ritter des Fortschritts. Sie sind gut, in dem, was Sie tun, das steht außer Zweifel, aber das, was wir brauchen, ist Ihr rohes, ungeschütztes Inneres, wenn Sie verstehen, was ich meine. Zuerst müssen Sie Ihren Alltagspanzer ablegen und wieder zu Adam werden, unverdorben und rein, bevor wir zu Ihrem wahren Ich vordringen und Sie von Ihren Ängsten befreien können. Darauf beruht meine Behandlungsmethode. Ich mache Sie wieder zu einem freien Menschen ohne Ängste und das ganz ohne langwierige klinische Testverfahren und die in meinen Augen brutale Methode der Konfrontationstherapie. Ich verspreche Ihnen, der Gegenstand Ihrer Ängste wird nicht eher in Ihre Nähe gelangen, bevor Sie es nicht wollen. Nicht einmal das Wort wird über meine Lippen kommen, falls das nicht Ihr ausdrücklicher Wunsch ist. Als alleiniges probates Hilfsmittel werde ich die Hypnose benutzen. Sie hilft bei allzu tief verschütteten Erinnerungen. Sind Sie damit einverstanden?“
Ondragon nickte.
„Gut, wir halten uns hier nicht lange mit Kleinigkeiten auf, die Angaben zu Ihrer Herkunft, Kindheit und Jugend habe ich bereits durchgesehen und vorläufig ausgewertet. Das Ergebnis ist interessant, da Sie einen recht außergewöhnlichen Lebenslauf haben. Und ich muss gestehen, dass ich neugierig darauf bin, mehr von Ihnen zu erfahren. Aber es wird sich erst im Laufe der Therapie herausstellen, ob ich richtig liege mit den ursächlichen Gründen für Ihre Phobie.“ Dr. Arthur griff nach einem silbernen Kugelschreiber. „Bevor ich Ihnen den Therapieplan erkläre, erlauben Sie mir eine einzige Frage zu Ihrer Person?“
Ondragon nickte erneut.
„Bitte antworten Sie so spontan wie möglich.“ Er machte eine Pause. „Paul, welche Farbe hat Ihre Angst?“
Ondragon stutzte. Damit hatte er nicht gerechnet. Er musste überlegen.
Die gelben Augen sahen ihn erwartungsvoll an.
„Tja.“ Er begann zu schwitzen. „Ich … ich denke es ist, tja, ehrlich gesagt … habe ich keine Ahnung.“ Er zuckte
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