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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Strohmeyer Anette
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und blätterte in Magazinen und Zeitungen. Keiner las ein Buch. Ondragons Hand verkrampfte sich unwillkürlich um den Notizblock in seiner Hosentasche. Er dache an seinen Termin mit Dr. Arthur um zehn Uhr. Konnte der Mann sein Problem beheben? Unbewusst konzentrierte er sich wieder auf die Gäste und nutzte seine gut trainierte Menschenkenntnis. Um nicht aufzufallen, machte er sich vorerst Notizen im Geiste. Später wollte er sie in den Notizblock eintragen und mit den Daten abgleichen, die er sich heute Nacht an der Rezeption besorgen würde; voraussichtlich ohne die Erlaubnis der kratzbürstigen Sheila. Er begann seine Beobachtung an einem der zwei doppelt besetzten Tische direkt vor der großen Fensterfront, durch die man einen herrlichen Blick auf den See hatte. Dort saßen drei flachbrüstige, avantgardistisch aufgetakelte Teenager mit freudlosen Gesichtern. Geziert stocherten sie in ihrem Rührei herum, das sie mehr zermatschten als aßen. Ondragon tippte auf Models. An dem Nebentisch saß eine stark übergewichtige und überschminkte Dame Anfang sechzig zusammen mit einem noch älteren Herren mit Glatze und goldener Anstecknadel am Revers seines karierten Jacketts - eine alternde Filmdiva und ein republikanischer Politiker. Beide Milieus hatten bekanntermaßen eine Vorliebe für das jeweils andere.
    Am ersten Einzeltisch direkt neben dem Empfangspult des Chefkellners saß ein südländisch aussehender Typ mit glänzender Elvistolle. Er trug ein schwarzes Hemd von Ed Hardy mit abgerissenen Ärmeln, eine enge Jeans und war geschätzte dreißig Jahre alt. Wahrscheinlich irgend so eine Kunstfigur aus der Musikbranche. Einen Tisch weiter hockte in grauem Hemd und orangefarbenem Pollunder aus Kaschmir ein Mann wie ein Angelhaken; dürre Gliedmaßen und ein nichtsagendes Gesicht mit randloser Brille. Sein schütteres, dunkelbraun gefärbtes Haar war streng zur Seite gekämmt. Eigentlich sah er aus wie der klassische Jurastudent, doch sein Alter widersprach diesem Klischee. Er war mindestens um die vierzig und trug zusätzlich noch einen schweren Siegelring an der linken Hand. Ondragon stufte ihn schließlich in die überflüssigste und nutzloseste aller Berufsgruppen ein: Die der Makler.
    Am dritten Tisch wenige Schritte neben dem Makler aß ein junger Mann aus einer Schale ebenfalls Porridge. Er sah aus wie das Elitekind schlechthin. Blondes, leicht gewelltes Haar, das ihm trendy ins Gesicht hing, und graue Augen, gerahmt von auffällig blonden Wimpern. Sein Teint war blass und seine Statur schlaksig. Er trug ein mintgrünes Poloshirt von Ralph Lauren mit hochgeschlagenem Kragen, dazu eine modische, weiße Jeans und Segeltuchschuhe mit Gummisohle. Auf seinem Kopf saß eine Ray Ban -Sonnenbrille wie das Krönchen einer Schönheitsprinzessin. Ein Preppy wie aus dem Modekatalog. Im Grunde genommen war Ondragon mit diesen Spießerklamotten groß geworden, zwischen Schuluniformen und Barbour -Jacken, und wahrscheinlich verachtete er diesen Modestil deshalb auch so. In Harvard war es besonders schwer gewesen, sich dagegen zu wehren. Dass er damals von der inoffiziellen Kleiderordnung abgewichen war, hatte ihn nicht zum ersten Mal zum Außenseiter abgestempelt. Das Bübchen dort drüben war mit Sicherheit zur Stromlinienförmigkeit gedrillt. Mr. Ray Ban war wahrscheinlich der Sohn eines reichen Industriellen oder eines Vorstandsmitgliedes einer großen Firma, auf jeden Fall aber Europäer, das erkannte man an der Jeansmarke und dem Porridge.
    Ondragon wandte sich dem vierten Tisch zu. Dort blätterte der erste sympathisch aussehende Typ mit entspannter Miene in einer In-Touch . Ondragon musste grinsen, wenn ein Mann jenseits der Pubertät sich mit dieser Zeitschrift befasste, konnte das nur bedeuten, dass dieser entweder ein Paparazzo war und sehen wollte, welche Skandale seiner Linse entgangen waren, oder er gehörte zu den Opfern jener fotografierenden Meute. In der Tat erkannte Ondragon das Gesicht des Mannes. Er hieß Charlie Bloom und war ein beliebter Seriendarsteller einer Sitcom. Offensichtlich hatte er ganz andere Probleme als seine angebliche Alkoholsucht!
    Der fünfte Tisch war von einem finster dreinblickenden, langhaarigen Anarchotypen besetzt. Er hatte dem Panoramafenster, durch das helles Sonnenlicht fiel, den Rücken zugekehrt. Auf seinem schwarzen, ärmellosen T-Shirt war eine Doppelaxt abgebildet, die gerade einen diabolisch zähnefletschenden Schädel spaltete, darüber stand in blutigen Lettern

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