Ondragon - Menschenhunger
Mit einem Kopfnicken in Richtung des Chefkellners verließ er den Lakeview Salon.
Er blickte auf seine Armbanduhr. Acht Uhr abends. Am verlassenen Empfangstresen vorbei ging er nach draußen. Es war noch immer herrlich warm, und die Sonne tauchte die Landschaft in abendlich warmes Licht. Nachdem er einen kritischen Blick auf seinen Mustang geworfen hatte, schlenderte er um das Gebäude herum auf die Terrasse, wo er sich an einem der Teakholztische in der Sonne niederließ. Er wollte noch eine Weile die Abendstimmung genießen, während er im Kopf seinen nächtlichen Erkundungsfeldzug plante.
Ein Räuspern ließ ihn seinen Blick von der herrlichen Aussicht auf den See abwenden.
„ Hej hej , ich habe gehört, Sie sind auch Schwede.“ Der junge Europäer stand neben seinem Tisch und sah ihn durch seine Ray Ban an. Er hatte Schwedisch gesprochen.
Ondragon überlegte kurz, ob er darauf antworten sollte, oder ob er so tun sollte, als hätte er ihn nicht verstanden. Er seufzte innerlich. Es schien schwerer als gedacht, seine privaten Dinge für sich zu behalten.
„Wieso auch Schwede?“, fragte er schließlich auf Englisch zurück.
Selbstsicher hob das Bürschchen ihm die Hand entgegen. „Ich bin Johan Norrfoss aus Stockholm.“
Ondragon ergriff die Hand nur widerwillig. „Paul Ondragon - und nein, ich bin kein Schwede.“
„Aber Tommy, ähm Mr. Shamgood, sagte, Sie seien aus Schweden.“
„Das haben Sie dann wohl falsch verstanden.“
Norrfoss runzelte verwirrt die Stirn. Ondragon entschloss sich, ihm eine ausgedachte aber plausible Information zu präsentieren, dann wäre er ihn vielleicht schnell los.
„Ich bin US-Bürger.“ Tatsächlich besaß er einen gefälschten US-Reisepass, den er aber nur außerhalb der Staaten benutzte. „Meine Mutter ist allerdings Schwedin, sie ist ‘72 eingewandert.“ Er drehte den Spieß um. „Norrfoss? Etwa das Energieimperium, das mittlerweile in ganz Europa Atomkraftwerke betreibt?“, fragte er auf Schwedisch.
„Ja, aber wir investieren auch in Wasserkraft und andere alternative Energieanlagen. Mein Großvater hat das Norrfoss Unternehmen 1937 gegründet, und mein Vater hat es ‘79 übernommen, seit den Neunzigern sind wir eine Aktiengesellschaft und expandieren von Skandinavien nach Europa“, leierte Norrfoss herunter, als hätte er die Firmengeschichte eingeprügelt bekommen.
Ondragon nickte. Norrfoss AB war bekannt dafür, dass sie überalterte Reaktoren betrieben und das noch als umweltfreundlich bezeichneten. Aber diese Reaktoren hatten die Lizenz zum Gelddrucken, egal, welches Sicherheitsrisiko sie darstellten. Die Familie Norrfoss musste unglaublich reich sein. Ondragon hoffte, dass ihn niemals die Atomlobby um Hilfe bitten würde.
„Ist ganz schön langweilig hier, nicht wahr?“ Norrfoss gähnte, als wolle er seine Aussage unterstreichen. „Ich wäre viel lieber in die Cirque Lodge nach Utah gegangen, da ist die Umgebung wenigstens netter und die Gäste hipper. Das hier ist doch genau wie zu Hause. Wälder, nichts als beschissene Wälder.“ Missfällig stieß er Luft aus. „Ich habe meinem Alten gesagt, dass ich lieber nach Utah will, aber er hat mich trotzdem hier eingebuchtet. Ich solle zusehen, dass ich mein Problem in den Griff kriege, sonst würde er mich enterben. Zum Kotzen, immer muss der alte Sack sich einmischen!“
Wie ich’s mir dachte, ein reiches, verwöhntes Magnaten-Söhnchen. Und einmal läuft es nicht so, wie er es sich denkt. Ondragon verkniff sich ein abfälliges Grinsen.
„Und Sie, sind Sie freiwillig hier?“
„Wie man‘s nimmt“, entgegnete Ondragon, noch immer nicht bereit, das Gespräch zu vertiefen.
Norrfoss nickte, als verstünde er, zog mit zwei Fingern ein silbernes Zigarettenetui mit Brillanten-Monogramm aus seiner Hosentasche und zündete sich eine Lucky Strike an - bei jeder Bewegung darauf bedacht, besonders lässig zu wirken.
„Auch eine?“ Er hielt Ondragon das aufgeklappte Etui hin, doch der schüttelte den Kopf.
„Nein, danke, ich rauche nicht. Und ich würde es auch sehr begrüßen, wenn Sie es nicht ausgerechnet in meiner Nähe täten. Ich sitze nämlich hier draußen, um die frische Luft zu genießen, außerdem stehen Sie in der Sonne.“
„Oh, ich bitte um Verzeihung, ich wollte Sie nicht belästigen. Hatte nur einem Landsmann Guten Tag sagen wollen. Einen angenehmen Aufenthalt wünsche ich Ihnen noch, Herr Ondragon! Hej do !“
Der Sarkasmus in der Stimme des Schnösels war Ondragon nicht
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