Ondragon - Menschenhunger
möchten der Colonel und der Gouverneur Sie kennenlernen.“
Lacroix schwieg. Natürlich waren sie verhaftet! Wozu sonst die Soldaten? Er blickte auf die Tür. Gegen zwölf Mann war er machtlos. Außerdem war Parker außer Gefecht gesetzt, und er konnte ihn nicht alleine lassen. War nur zu hoffen, dass Two-Elk den Engländern nicht in die Fänge ging. Der Chippewa würde schon kapieren, was mit ihnen geschehen war, und ihnen zu Hilfe kommen. Einen Versuch gab es noch.
„Mein Freund ist zu krank zum Reisen. Er darf nicht raus in die Kälte!“
„Er sieht doch ganz fidel aus. Auf einem Pferd wird er ja wohl sitzen können, oder nicht? Und frische Luft wirkt manchmal Wunder.“ Der Lieutenant klang freundlich, aber hinter den Worten verbarg sich ein ausdrücklicher Befehl.
„Es ist Ihre Verantwortung, wenn er es nicht schafft!“
Stafford tippte sich spöttisch gegen seinen Hut. „Nun, Gentlemen, packen Sie Ihre Sachen und kommen Sie mit!“
Siedend heiß fielen Lacroix Parkers Füße ein. Wie sollte er erklären, was damit los war? Sie zu verbergen, war nicht gerade einfach. Er stellte seinen Becher auf den Tisch. Und die Spuren von letzter Nacht draußen im Schnee? Da waren bestimmt welche. Würden sie dem Lieutenant auffallen? Lacroix fluchte leise in sich hinein, dass er so lange geschlafen hatte und sie nicht mehr hatte verwischen können wie am Morgen zuvor. Er musste Stafford davon ablenken.
Und der Wendigo?
Würde er sie verfolgen?
Im Wald waren sie ihm schutzlos ausgeliefert.
„Ich muss Parker erst richtig anziehen. Das dauert einen Moment. Sonst holt er sich draußen den Tod!“ Als Lacroix die Buchstäblichkeit seiner Worte erkannte, biss er sich auf die Lippen.
Doch der Lieutenant hatte nichts bemerkt. „Verstehe“, sagte er, „ich warte draußen. Aber ich möchte keine Waffen im Gepäck sehen!“ Stafford stellte seinen Becher auf den Tisch und verließ die Hütte. Er hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber sein Tonfall hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass ein Fluchtversuch sinnlos war.
Lacroix begann, Parker aus den Decken zu wickeln.
„Lass mich hier! Da draußen sind wir verloren. Rette wenigstens dich selbst“, flüsterte Alan.
„Das kann ich nicht. Wir haben keine andere Wahl. Besser wir gehen freiwillig mit, als dass sie uns in Ketten legen. Two-Elk wird uns schon finden und uns helfen.“ Er nahm die Felle von Parkers Füßen, ignorierte die teigig geschwollene Masse, in der die Zehen kaum noch zu erkennen waren und schnitt das weiche Leder in Streifen. Diese wand er hernach um die Füße seines Freundes und zog sie fest zusammen. Parker stöhnte mit schmerzverzerrtem Gesicht auf.
„Halt durch, mein Freund“, redete er ihm gut zu und zog ihm mehrere Lagen Hemden an, darüber seine Lederjacke und zwei Mäntel.
Schnell nahm er einen Sack aus Öltuch und packte ein paar Dinge ein: zwei kleine Messer, die er in seine Stiefel steckte, Kleidung, zwei Decken, Tabak, Pemmikan und Kaffee.
Zum Schluss schnitzte er noch hastig einen kleinen Säbel in die Tischplatte - für Two-Elk der Hinweis, dass Soldaten sie mitgenommen hatten -, und löschte das Feuer. Dann schulterte er das Gepäck, griff den dick eingemummten Parker unter den Achseln und schleppte ihn nach draußen ins trügerische Sonnenlicht.
13. Kapitel
2009, Moose Lake, Cedar Creek Lodge
Ungesehen aus der Lodge zu kommen, war nicht schwer. Um kurz nach halb vier am Nachmittag benutzte Ondragon die Feuertür auf derselben Etage wie die Gästezimmer und stieg leise die stählerne Wendeltreppe an der Westseite des Gebäudetraktes hinab. Ihm war bewusst, dass er auf der freien Rasenfläche von den rückwärtigen Fenstern aus gesehen werden konnte, deshalb zwang er sich zu einem ruhigen, fast gemächlichen Gang, bis er ein paar Büsche und Bäume zwischen sich und die Lodge gebracht hatte, dann erst lief er.
Den Weg zur Blockhütte von Peter Parkers Onkel fand er sofort. Er zweigte etwa zweihundert Schritte vor dem Wohnhaus der Angestellten nach rechts ab und führte unter anderem auch zu den Stallungen. In einem großen Bogen schlich Ondragon um die Stallgebäude herum, vor denen die Pferde auf der Koppel standen und grasten. Vom Reitlehrer war nichts zu sehen.
Plötzlich spürte Ondragon einen Tropfen auf seiner Wange und warf einen Blick zum Himmel. Regenschwere, graue Wolken waren seit dem Vormittag aufgezogen, und nun begann es leicht zu nieseln. Missmutig verzog er das Gesicht. Hoffentlich schüttete es nicht
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