Ondragon - Menschenhunger
hatte.
Doch zunächst musste er noch etwas anderes erledigen und begab sich auf sein Zimmer, wo er sein iPhone aus dem Tresor holte und es anschaltete. Sobald er ein Netz hatte, sah er kurz auf die Uhr und wählte eine Nummer in Thailand.
„ Sawadee khrap , Paul!“, meldete sich eine männliche Stimme nach dem vierten Klingeln.
„Hallo, Rudee. Sabai dee mai - wie geht’s?“
„ Sabai dee - gut. Nichts gehört von dir lange Zeit. Wooow!“
Ondragon musste lächeln, als er den lustigen Akzent hörte, der alle Vokale in die Länge zog. Und auf einmal bekam er Sehnsucht nach den smogblauen Straßen von Bangkok, dem Hupen der Tuktuk-Fahrer und einem eiskalten Singha Bier in einem Straßenlokal an der Sukumvit Road.
Vier Jahre seiner Jugend, genauer gesagt von zwölf bis 15, hatte er in der quirligen Hauptstadt Thailands verbracht, als sein Vater dort in der Botschaft arbeitete - und es war wahrscheinlich die glücklichste Zeit seines Lebens gewesen, bevor er sich mit seinem Vater endgültig überworfen hatte. Aber inmitten der gastfreundlichen Thai hatte er sich immer wohlgefühlt, obwohl er ein Farang und mit seinen in die Höhe schießenden Körpermaßen ein Riese gewesen war. Damals hatte er ein paar wirklich gute Freunde gewonnen, zu denen er auch heute noch Kontakt hatte. Dazu zählte Rudee.
Den cleveren, gleichaltrigen Thai hatte er in einem Computerclub kennengelernt und ihn nach der Gründung von Ondragon Consulting sofort als freien Mitarbeiter engagiert, denn Rudee konnte schon damals etwas, das Paul nicht konnte: Er war ein Cyberpirat der ersten Stunde und vermochte jeden Computer zu entern, den er wollte!
Von Bangkok aus erledigte Rudee seine Aufträge stets zuverlässig. Zwar auf eine sehr eigenwillige Art, aber dennoch erstaunlich effektiv. Ondragon dachte, dass es höchste Zeit war, seinen Freund mal wieder zu besuchen. Vielleicht konnte er sich eine Woche frei nehmen und nach Bangkok fliegen, nachdem er das alles hier hinter sich gebracht hatte.
„Ich habe etwas für dich, Rudee, und es ist wie immer dringend“, sagte er.
„Wooow, schieß los, ich bereit.“ Im Hintergrund hörte Ondragon das Klappern einer Tastatur. In Bangkok war es jetzt vier Uhr morgens, aber Rudee war ein Nachtmensch. Er schlief tagsüber und arbeitete nachts, wegen der Hitze, behauptete er. Ondragon vermutete eher, dass es daran lag, dass Rudee sich bevorzugt in Rechnern in den USA aufhielt. Meistens in mehreren gleichzeitig, denn er wollte stets „live“ dabei sein, wenn etwas Bedeutendes im Netz geschah.
„Ich brauche Informationen aus einem Computer, der sich hier in der Cedar Creek Lodge befindet“, sagte Ondragon. „Er gehört einem Dr. Jonathan Aaron Arthur, promovierter Arzt und Psychologe. Er hat einen Toshiba Satellite Pro , aber es gibt auch ein lokales Netzwerk, auf das die Mitarbeiter hier zugreifen, wahrscheinlich passwortgesichert. Außerdem sollen die Daten verschlüsselt sein. Der Internetzugriff ist nur via Satellit möglich, der Administrator heißt Kenny White, das ist zumindest der Computerfreak hier.“
„Willst du sagen, ich ein Freak?“
„Nein, Rudee, du bist ein Genie - wenn auch nur ein fünf Fuß großes!“ Unwillkürlich musste er an Nick Nack denken, den Zwerg aus James Bond „Der Mann mit dem goldenen Colt“, der zusammen mit Christopher Lee auf einer kleinen tropischen Felseninsel hauste.
Rudee lachte. „Deshalb ich bevorzuge Napol_e.on als Nickname, der auch ein kleines Genie war!“
Ondragon grinste und übermittelte Rudee noch weitere Namen von Personen, die möglicherweise Zugang zum Netzwerk hatten, damit der Thai die IP-Adressen und Passwörter herausfinden konnte.
„Und nach was für Informationen du suchst genau?“
„Auf der Festplatte des Laptops oder dem internen Server müssen Daten über sämtliche Patienten der Cedar Creek Lodge liegen.“
„Patienten? Sag mal, wo du bist gerade?“
„Wie ich sagte, in der CC Lodge in Minnesota.“
„Ist das Job oder du machst Urlaub?“ Rudee kicherte.
Ondragon überlegte.
„Ein bisschen von Beidem.“ Ondragon beließ es dabei. Rudee würde es ohnehin herausfinden, wenn er an die Patientendaten herankam. Schließlich war auch seine eigene Akte dabei. „Im Besonderen benötige ich die Patientenakten von folgenden Personen: Kateri Meoquanee Wolfe und Oliver Orchid, das sind die Wichtigsten. Dann bräuchte ich noch Informationen über einen Mitarbeiter namens Jeremy Bates, der im März dieses Jahres gefeuert
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