Ondragon - Menschenhunger
angekleidet - und betätigte sich am Türschloss. Sie hatte doch tatsächlich einen Schlüssel für die Eingangstür! Als einzige von den Gästen. Welch ein Privileg. Vielleicht lag es daran, dass sie so eine Art Mündel von Dr. Arthur war. Nachdem Kateri aus der Tür geschlüpft war, schloss sie sie hinter sich ab. Zu dumm, jetzt konnte er ihr nicht weiter folgen. Ondragon lief an die Tür und spähte durch die Glasscheibe hinaus. Was wollte Kateri da draußen, mitten in der Nacht?
Nur wenig später bekam er die Antwort, denn der Prius rollte rückwärts und völlig lautlos aus seiner Parklücke. Diese Elektroautos gaben wirklich nicht das leiseste Geräusch von sich! Als Fußgänger musste man da verdammt aufpassen, dass man nicht überrollt wurde, wenn man sich beim Straßenüberqueren nur auf sein Gehör verließ. Als der Prius vom Parkplatz fuhr, ging das Standlicht an. Ondragon überlegte. Er hatte doch Kateris Autoschlüssel im Tresor gesehen. Warum hatte sie ihn jetzt? Für eine Spritztour konnte man ihn sich bei Sheila bestimmt nicht ausborgen. Oder besaß sie auch hier Sonderrechte? Stirnrunzelnd blickte er in die Nacht hinaus. Diese Frau war wahrhaftig ein Rätsel. Dann erinnerte er sich an sein eigentliches Vorhaben, schlich zurück in den ersten Stock und zog das iPhone aus der Tasche, doch kaum hatte er das Display eingeschaltet, drang schon wieder ein Geräusch an sein Ohr. Das ging ja hier zu wie in einem Taubenschlag! Erneut flüchtete er hinter die Sitzgruppe. Er sah, wie Hatchet den Flur entlangkam. In der Küche wartete bestimmt schon seine Portion Pommes. Ondragon spürte einen gewissen Futterneid. Aber dafür war er nicht aufgestanden. Er blickte zu der Tür von Nr. 20. Sollte er noch einen Versuch wagen? Oder sollte er erstmal abwarten, ob noch etwas passierte. Womöglich kam Kateri gleich zurück. Oder Hatchet. Ondragon spürte, wie die Müdigkeit in seine Gedanken gluckerte und gab „Mission Orchid“ für diese Nacht auf. Es hatte keinen Sinn. Zu viel los auf dem Flur. Ungewöhnlich erschöpft begab er sich in sein Zimmer. Ein kühler Luftzug empfing ihn. Hatte er etwa die Balkontür offen gelassen?
Er wollte die Tür schließen, da fiel sein Blick auf einen Gegenstand so groß wie ein Fußball, der vorher noch nicht auf den Holzdielen seines Balkons gelegen hatte. Im Zwielicht der weichenden Nacht machte es einen zotteligen Eindruck und weckte in ihm die Assoziation eines Kuscheltieres. Doch das konnte es nicht sein. In der Lodge gab es keine Kinder. Er bemerkte eine dunkle Flüssigkeit, die sich unter der haarigen Kugel ausbreitete. War das Blut? Ist ein Tier auf seinem Balkon verendet? Langsam ging Ondragon hinaus, um es näher zu betrachten. Vielleicht lebte das Tier noch. Doch je näher er kam, desto deutlicher wurde ihm klar, was da lag. Übelkeit stieg in seiner Kehle auf. Zögernd stieß er den dunklen Fellball mit der Fußspitze an. Das Ding rollte lautlos herum und gab den Blick frei auf schwarze Lefzen, eine blutige Zunge und gebleckte, weiße Zähne. Die Augen waren von den dichten Fellbüscheln verdeckt, doch es war eindeutig: Das war Rumsfeld - der Hund von Frank, dem Gärtner.
Jemand oder etwas hatte ihm den Kopf abgerissen und auf seinen Balkon geworfen.
20. Kapitel
1835, Kabetogama, im Wald 20 Meilen entfernt von Fort Frances
Sie schlugen das Lager am Ufer eines kleinen Bächleins auf, das eisklares Schmelzwasser führte. Die Soldaten entfachten ein großes Feuer, schöpften einen Kessel voll Wasser und kochten eine heiße Suppe, die später an alle verteilt wurde.
Lacroix löffelte sie so schnell er konnte, denn er hatte mächtig Hunger. Parkers Blechtopf ließ er zuerst etwas abkühlen, damit sie ihm besser bekam. Dann fütterte er langsam seinen Freund, während die Soldaten sich ihre Schlafstätten herrichteten. Die Nacht kam mit großen Schritten, fiel auf die Lagernden herab wie ein schwarzes Tuch. Kalt glitzerten die Sterne am mondlosen Himmel.
Nachdem Lacroix das meiste der Suppe einigermaßen erfolgreich in Parkers Magen befördert hatte, machte auch er sich daran, ihre Schlafstatt zu bauen. Dafür brachte er mehrere Armvoll Tannenzweige von einer nahestehenden, düsteren Schonung herbei und schichtete sie sorgfältig in der Nähe des Feuers auf. Mit einer Decke darüber schützten sie viel besser vor der Kälte des Bodens als die dicken Wolldecken der Soldaten.
Er half Parker dabei, sich hinzulegen, und nachdem er noch zwei weitere Decken über ihn
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