Ondragon - Menschenhunger
verstehe immer noch nicht.“
Tat sie das wirklich nicht? Zumindest verriet ihr Gesicht keinerlei gegenteilige Regung.
„Jemand hat dem armen Rumsfeld den Kopf abgerissen und ihn auf meinen Balkon geworfen. Und ich frage mich, ob das ein Zufall war, oder ob mir dieser Jemand damit etwas mitteilen will.“
Kateri hatte eine Hand vor den Mund gehoben, ihre Augen drückten echtes Erschrecken aus.
„Oder war das auch der wildgewordene Bär?“, setzte er nach.
„Letzte Nacht, sagten Sie?“ Sie ließ sich nicht anmerken, dass sie draußen gewesen war. „Das ist ja schrecklich. Weiß Frank schon davon?“
„Nein, Deputy Hase will sich zuerst alles anschauen. Ich habe den Kopf gelassen, wo er ist.“ Ondragon lächelte sarkastisch. Er hob beide Hände. „Ich für meinen Fall denke, der Deputy sollte einen Jäger darauf ansetzen und dieses Bären-Mistvieh endlich abknallen. Damit wäre mir wesentlich wohler. Eigentlich ist es unverantwortlich, noch Leute da draußen herumlaufen zu lassen, so lange dieser mordlustige Meister Petz den Wald unsicher macht.“
„Da haben Sie Recht, Paul. Ich glaube, ich werde mich vorerst nicht weiter als nötig von der Lodge entfernen.“ Reichlich unwohl dreinschauend nahm sie einen Schluck Wasser.
„Übrigens habe ich Sie gestern gesucht und auch beim Abendessen vermisst.“
Ertappt schaute Kateri auf. Eine erste Regung?
„Nun, zuerst bin ich von Deputy Hase zu der Leiche im Wald befragt wurden, so wie einige andere Gäste auch, und anschließend war ich bei Dr. Arthur. Die Sitzung dauerte etwas länger, es ging mir nicht gut. Das Abendessen habe ich mir hinterher auf mein Zimmer bringen lassen. Es tut mir Leid, dass ich unsere Verabredung nicht eingehalten habe. Verzeihen Sie mir noch einmal?“
Paul wollte eigentlich härter zu ihr sein, doch dann lächelte er. „Natürlich. Aber heute leisten Sie mir doch Gesellschaft?“
Scheu blinzelte Kateri und nickte dann. Nein, sie war ganz bestimmt keine Kannibalin. Dafür war sie viel zu … ja, was eigentlich? Er musterte sie verstohlen. Kateri Wolfe vereinte Verletzlichkeit mit einer würdevollen, geradezu königlichen Haltung. Sie wirkte selbstbewusst und zugleich verirrt wie eine Gazelle unter Hyänen. Und doch wusste sie sich zu behaupten. Das distanzierte Lächeln und die spröde Kühle in ihren Augen waren ihre Schutzhülle. Was aber war dahinter, wenn man daran kratzte, wenn man die unsichtbare Grenze, die sie umgab, übertrat? Ondragon brannte darauf, das herauszufinden. Bei allen Ereignissen, die sich hier in der Lodge abspielten und seinen Geist auf Trab hielten, lockte ihn die Vorstellung, dieser Frau einmal ganz nahe zu sein, am intensivsten. Er wagte es, seine Hand auf die ihre zu legen. Sie zog sie nicht weg, blickte ihn aber auch nicht an. Für einige Atemzüge verharrten sie so, dann nahm Ondragon seine Hand wieder zurück und erhob sich.
„Sie entschuldigen mich, ich muss noch etwas erledigen.“
Kateris Mundwinkel zuckten und dann trat ein zögerliches Lächeln auf ihre Züge. Eines, das er noch nicht kannte. Es war warm und freundschaftlich. „Kommen Sie einfach zu mir, wenn Sie fertig sind. Ich werde die Lodge so schnell nicht verlassen.“
Ondragon nickte und verließ das Restaurant, doch bevor er nach oben ging, suchte er erneut die Rezeption auf.
„Hallo, meine Beste!“, grüßte er Sheila mit honigsüßem Tonfall, die nur mit Mühe ein Gähnen unterdrückte. „Ich habe das vorhin vergessen zu fragen, ist zufällig ein Paket für mich angekommen?“
„Hmm hm.“ Sheila bückte sich und kam mit einem braunen Paket mit dem Aufdruck amazon wieder hoch. Sie reichte es ihm über den Tresen hinweg.
„Vielen herzlichen Dank!“ Ondragon schenkte ihr ein herzzerreißend charmantes Lächeln, doch Sheila veränderte ihren beinharten Gesichtsausdruck nicht für eine Nanosekunde.
„Bitte“, sagte sie unterkühlt und widmete ihre Aufmerksamkeit wieder den Papieren vor ihr.
Keine Chance!
Ondragon verließ den Eingangsbereich und ging hinauf. In seinem Zimmer öffnete er das Paket. Zum Vorschein kam ein Paar nagelneuer Laufschuhe. Er küsste die Verpackung und warf sie in den Mülleimer. Endlich wieder Sport. Hoch lebe amazon !
Er holte sein iPhone hervor und schaute in die Mailbox. Na endlich! Eine Antwort von Rudee. Und auch eine von Charlize.
Er öffnete zuerst die Mail von Rudee.
Sawadee, Paul!
Es nicht einfach war, aber ich geschafft, in Rechner von Dr. A eindringen und Daten besorgen.
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