Ondragon - Menschenhunger
geschlagen hatte, ging er zu den Soldaten und trank mit ihnen Branntwein, der zum Klang leiser Gespräche gereicht wurde. Warm schwappte das Gesöff durch seine Glieder, doch entspannen konnte Lacroix sich nicht. Schweigsam betrachtete er der Reihe nach die vom Schein des Feuers vergoldeten Gesichter. Anspannung lag auf einigen von ihnen, gepaart mit zäher Müdigkeit. Wer den Kampf gewinnen würde, war klar; nach einem Ritt von zwanzig Meilen spürte jeder die Verlockung des Schlafes. Dass da draußen etwas war, das ihnen die ewige Finsternis antragen konnte, überstieg ohnehin ihre Vorstellungskraft.
Lacroix blickte zum Lieutenant und dem feisten Sergeant, die ihm gegenüber hinter den züngelnden Flammen des Feuers saßen und dabei aussahen, als schmorten sie bereits im Vorhof der Hölle. Sie waren in ein Gespräch vertieft. Worum es ging, konnte er allerdings nicht hören, doch Stafford notierte sich immer wieder etwas in sein kleines Notizbuch.
Lacroix lächelte sinnend. Ob man das Unerklärliche erklärbarer machen konnte, wenn man es in Worte fasste? Er bedankte sich bei den Soldaten für den Branntwein und legte sich auf sein Lager neben Parker, der schon zu schlafen schien. Er brauchte Ruhe, um Kraft zu schöpfen. Nach einer Weile gelang es ihm, die Augen zu schließen.
21. Kapitel
2009, Moose Lake, Cedar Creek Lodge
Am nächsten Morgen kam ihm alles vor wie ein schlechter Traum, doch als er auf den Balkon ging, lag das Ding noch immer da. Ondragon seufzte. Nun musste er schon wieder mit Deputy Hase sprechen. Es war ihm unangenehm, weil es ihn viel zu sehr in den Focus rückte. Ohne das grausige Relikt auf dem Balkon noch einmal zu betrachten, ging Ondragon ins Bad, um zu duschen. Anschließend begab er sich nach unten an die Rezeption und bat Sheila um ein Telefonat. Das tat er äußerst ungern, aber er musste sein Handy weiterhin geheimhalten.
Nur Widerstrebend reichte Sheila ihm den Apparat über den Tresen, nachdem er ihr mehrfach versichert hatte, dass es unabdinglich sei, die Polizei anzurufen. Seufzend wählte Ondragon Hases Nummer.
„Hase!“ Der Deputy klang müde. Es war ja auch kurz vor sieben Uhr.
„Ich bin es nochmal, Paul Ondragon aus der Cedar Creek Lodge.“ Er drehte sich von der kratzbürstigen Empfangsdame weg und legte eine Hand vor die Sprechmuschel.
„Ja? Was wollen Sie?“ Gereizt.
„Ich weiß nicht, ob das mit der Leiche im Wald zusammenhängt, aber Frank, der Gärtner, hat vorgestern seinen Hund vermisst und …“
„Fassen Sie sich kurz, Sir!“ Noch gereizter. Was erlaubte sich dieser junge Schnösel?
Nun gut. Ondragon hatte nicht vor, sich mit ihm über Umgangsformen zu streiten. „Hören Sie, der Kopf des Hundes liegt auf meinem Balkon, und es sieht nicht gerade nach einem Unfall aus!“
„Was zum Teufel …“ Er hörte, wie der Deputy den Hörer vom Ohr nahm und heftig hustete. So jung und schon Raucherhusten? Dann war Hase wieder am Telefon. „Gegen 10.30 Uhr sind wir wieder in der Lodge. Bis dahin fassen Sie nichts an!“ Hase legte auf.
Aber klar doch!
Als er beim Frühstück eintraf, lächelte ihm Miss Wolfe schon von ihrem Tisch aus entgegen. Er setzte sich zu ihr. Nach der unerfreulichen Überraschung in der Nacht hatte er wenig Lust, sie auf ihren nächtlichen Trip anzusprechen und erst recht nicht auf ihren möglichen Appetit auf Menschenfleisch. Also unterhielten sie sich über belangloses Zeug. Den Fund auf seinem Balkon ließ Ondragon zuerst unerwähnt, weil er nicht wusste, ob er Kateri überhaupt vertrauen konnte. Er tat es dann aber doch, um sie gewissermaßen zu testen. Schließlich war sie des Nachts draußen gewesen und gehörte damit unweigerlich zum Kreise der Verdächtigen.
„Kennen Sie den Hund des Gärtners, Rumsfeld?“, fragte er unauffällig.
„Dieses riesige Wollknäul? Natürlich kenne ich ihn. Ein bisschen groß vielleicht, aber lammfromm.“
Ondragon nickte. „Er ist vorgestern verschwunden.“
„Ach, der streunt bestimmt wieder im Wald herum. Das macht er öfter.“ Kateri aß unbekümmert den Rest ihres Rühreis.
„Tja, wenn er das ohne Kopf tut, dann wäre an der Sache nichts Besonderes.“
Kateri reagierte zuerst nicht, dann runzelte sie die Stirn.
„Was meinen Sie, Paul?“ Sie sah verwirrt aus.
„Der Kopf des Hundes ist vergangene Nacht auf meinen Balkon geworfen worden!“ Als Sie draußen waren! , hätte er am liebsten noch hinzugefügt, doch er blickte Kateri nur prüfend an.
„Sein Kopf? Ich
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