Ondragon - Menschenhunger
die Kraft zum Leben, wie sie es ausdrückte. Dem Leben, wie ihre Eltern es ihr vorgelebt hatten. Wohl deshalb kam sie hierher zu Dr. Arthur. Er verkörperte für sie den Erdvater, der alle Flüsse wieder in Gleichklang brachte. Hier bei ihm, dem alten Freund der Familie, den sie schon seit Kindesbeinen an kannte, fand sie stets zurück zu neuem Mut. Hier bekam sie die stützende Hand, die ihr half, mit ihrem Schicksal umzugehen.
Aus Kateris freimütigen Schilderungen las Ondragon, dass diese Frau nicht nur umwerfend schön, sondern auch äußerst kompliziert war. Doch das machte sie nur umso interessanter für ihn. Er liebte alles Komplizierte.
Blendend gelaunt schüttete er den dreifachen Espresso hinunter und verließ seinen Tisch. Gelassen die Blicke von Shamgood und Norrfoss ignorierend, durchquerte er das Restaurant und begab sich auf die Terrasse in einen ungestörten, sonnigen Winkel. Dort vergewisserte er sich noch einmal, dass ihn niemand beobachtete und fischte dann sein iPhone aus der Hosentasche. Das auf stumm geschaltete Display zeigte eine Mail von Charlize. Er öffnete sie und las:
Hey Chef,
vorweg schöne Grüße von Dietmar, du bist jetzt notariell beglaubigter Teilhaber einer Ölquelle in Abu Dhabi! Und nun zu deinem Auftrag:
1.) Ich bekomme keinen der ehemaligen Nachbarn von Jeremy Bates an die Strippe. Da ist ständig besetzt, aber ich werde es weiter versuchen.
2.) Den Bericht über das Verschwinden von Mrs. Dana Straub hat ein Deputy Hase unterzeichnet.
3.) Als ich im Archiv der Stadt anrief, sagte man mir, dass der Fall der ermordeten Familie Parker damals vom FBI übernommen wurde. Wenn ich etwas darüber wissen möchte, sollte ich im Büro des Deputy anrufen. Das habe ich getan, und ein äußerst schlecht gelaunter Mr. Hase hat mir erklärt, ich solle mich direkt an das FBI wenden, sie hätten gerade genug zu tun (Etwa dein Killerbär?).
Frage: Wie soll ich nun weiter verfahren?
Charlize
PS: Im Anhang findest du zwei Zeitungsartikel, die sich mit den Parker-Morden befassen. Das Archiv war so nett und hat sie mir geschickt.
PPS: Halt durch!
Bevor Ondragon sich die Zeitungsartikel vornahm, schrieb er eine Antwort an seine findige und fleißige Assistentin:
Hi Charlize,
am Besten, du setzt dich in den nächsten Flieger nach Minneapolis und kommst mit dem Mietauto nach Orr. Auf dem Weg zum Flughafen kannst du gleich bei einem gewissen George Hurley anrufen. Er ist ein alter Studienfreund von mir und arbeitet zufällig beim FBI. Befrag ihn zu den Parker-Morden. Mir wurde erzählt, dass sie nie einen Mörder gefasst haben. Und forsche doch mal bei den Ärzten ohne Grenzen nach einem Oliver Orchid aus Toronto, der dort gearbeitet haben soll.
Guten Flug,
Paul
PS: Wenn du in der N ähe bist, geht es mir gleich viel besser ;-)
Ondragon schickte die Nachricht ab und öffnete die Zeitungsartikel. Es waren zwei jpg-Dateien, die jeweils einen Scan des Berichtes enthielten. Der erste mit dem Datum 21.05.1997 zeigte ein grobkörniges Schwarzweißfoto von der Hütte der Familie Parker mitten im Wald, zumindest konnte man im Hintergrund Bäume und Hügel erkennen. Die Überschrift lautete:
BLUTBAD IN HOLZFÄLLERHÜTTE von Steve Boogle .
Orr, St. Louis County. Eine schreckliche Tragödie hat sich am vergangenen Donnerstag in der Nähe des beschaulichen Holzfäller-Städtchens Orr ereignet. Als der 11-Jährige P. Parker von der Schule nach Hause kam, fand er seine Mutter und seinen Vater tot und auf grausame Weise zerstückelt in ihrem Haus vor, das tief in den einsamen Wäldern von Nord-Minnesota liegt. Mitten in dem Blutbad, das laut Polizei das schlimmste seit dem Ritualmord an einer jungen Frau von 1984 war, saß der jüngere Bruder M. Parker, offenbar vol lkommen verstört, und hielt einen abgetrennten Arm seiner Mutter in der Hand. Der Junge selbst war von Kopf bis Fuß blutverschmiert und nicht ansprechbar. Die Polizei geht vorerst nicht davon aus, dass einer der Brüder etwas mit dem Doppelmord zu tun haben könnte. Wer für diese entsetzliche Tat verantwortlich ist, soll eine genaue Untersuchung des Tatortes durch das FBI klä ren, das gestern Nachmittag den Fall übernommen hat.
Ondragon sah sich noch einmal um. Er war noch immer allein in seiner Ecke. Dann erst öffnete er den zweiten Artikel vom 05.06.1997. Er zeigte wieder ein Foto. Diesmal waren drei Personen darauf zu sehen: ein St. Louis County Deputy, ein fetter Typ mit Schnauzbart und ein Mann mit schwarzem
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