Ondragon - Menschenhunger
verstanden? “
Also doch Gefangene, dachte Lacroix düster.
Er verfrachtete seinen kranken Freund in das kleine Zimmer und bettete ihn zur Ruhe. Parker schwitzte noch immer wie ein Bär und seine Füße waren kaum noch als solche zu erkennen. Fingerdicke, bläuliche Adern überzogen die aufgequollenen Fußrücken und Knöchel, die mittlerweile eine gelblichgraue Farbe angenommen hatten und sich hart wie Stein anfühlten. Auch hatte sich das Weiße in seinen Augen in Rot verwandelt, und eitriger Schleim floss aus den Augenwinkeln, und verklebte seinen Bart. Parker musste unter schrecklichen Qualen leiden.
Lacroix verriegelte von innen die Tür, zum Einen, weil er verhindern wollte, dass Parker nach draußen entfliehen konnte, und zum Anderen, weil er nicht wollte, dass die Soldaten seinen Freund so sahen. Denn immer wieder schüttelten ihn fürchterliche Krämpfe, bei denen er unkontrolliert zuckte und sich wie ein kleines Kind einnässte. Lacroix musste ihm ein Beißholz zwischen die Zähne schieben, damit er sich nicht selbst die Zunge abbiss. Zudem fürchtete er, Parker könnte ihm im Schlaf an die Kehle fallen. Seit sie den toten Wachsoldaten und die Spuren gefunden hatten, war sich Lacroix nämlich nicht mehr so sicher, dass Parker nichts damit zu tun hatte. Die reißende Bestie war in ihm und verpestete allmählich sein Blut. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie endgültig aus ihm herausbräche. Und Lacroix hatte wenig Lust, das nächste Opfer zu sein.
Sorgfältig wickelte er Parker, der wild mit den geröteten Augen rollte und seine Zähne fletschte, in dicke Decken, dass er sich nicht mehr rühren konnte. Danach feuerte er den Ofen in dem Raum noch einmal gründlich an. Den kalten Fluch des Wendigo würde er mit der Wärme solange wie möglich im Schach halten. Das Messer griffbereit, legte er sich auf sein Lager und versuchte schließlich selbst etwas Schlaf zu finden.
Zuerst war es still, und Lacroix fielen schnell die Augen zu.
Doch dann begann Parker in seiner Deckenrolle zu knurren. Das Knurren ging schon bald in ein leises langgezogenes Wimmern über. Es klang nicht wie der klare Ruf eines Wolfes, mehr wie ein kehliges Gurgeln, das aus dem ganzen Körper zu kommen schien. Starr hielt Lacroix den Blick auf seinen Freund gerichtet, der die Augen geschlossen hatte, so als lausche er konzentriert.
Eine eisige Gänsehaut legte sich wie eine tote Hand auf seinen Nacken, als Lacroix einen weiteren Laut hörte, der von draußen kam, von jenseits der Palisaden.
Es war ein Heulen, ganz ähnlich wie das hohle Heulen des Windes. Und es antwortete auf Parkers Rufe. Vorsichtig spannte Lacroix den Hahn seiner Pistole.
Hoffentlich beeilte sich Two-Elk.
27. Kapitel
2009, Moose Lake, Cedar Creek Lodge
Am nächsten Morgen erwachte Ondragon um sieben Uhr, ging gleich zum Frühstück und ließ in aller Ruhe den gestrigen Abend Revue passieren. Er hatte sich mit Kateri bis spät in die Nacht unterhalten. Ja, unterhalten! Weiter nichts. Dennoch war es sehr anregend gewesen, denn sie hatte viel von sich erzählt, von ihren Eltern und ihrer Forschungsarbeit an der University of Minnesota. Ihr Vater, John Wolfe, war ein anerkannter Biochemiker gewesen und ihre Mutter, Alannah Star Dancer Wolfe, Ethnologin. Beide hatten trotz ihrer modernen Berufe die indianische Tradition gelebt und es verstanden, Brauchtum und Moderne so miteinander zu verbinden, dass sie sich nicht gegenseitig widersprachen. Deshalb kannte sich Kateri im Labor zwischen ihren technischen Geräten genauso gut aus wie draußen im Wald. Diese Verbundenheit mit der Welt ihrer Ahnen und dem absoluten Jetzt war das Erbe ihrer Eltern, und fast beneidete Ondragon sie um diese vollkommene Synergie, die sie im Einklang mit ihrer Umwelt leben ließ, egal, wo sie sich gerade befand. Doch mitten auf dieser perfekten Oberfläche ihrer Ausgeglichenheit befand sich auch ein tiefer Riss, das konnte er deutlich spüren. Da war etwas in ihrer Vergangenheit, das diese Synergie immer wieder störte und sie knistern und rauschen ließ wie irritierte Radiowellen. War es der Flugzeugabsturz? Der Tod ihrer Eltern? Oder Schuldgefühle, weil sie als einzige überlebt hatte? Kateri hatte nicht viel von dem eigentlichen Absturz über der kanadischen Tundra berichtet, nur wie sie von einem Search and Rescue Team gerettet wurde und was danach geschehen war. Zu schmerzhaft war dieses einschneidende Ereignis für sie, und die Erinnerungen daran raubten ihr immer wieder
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