Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
er und deutete mit einem erhobenen Ellenbogen auf den verschlossenen Durchgang. Sie hatten im Tunnel an die 600 Meter zurückgelegt. Ondragon hatte heimlich seine Schritte gezählt.
„Machen Sie die Tür schon auf!“, befahl ihm LeNoire und die Energie seines Hasses brandete heiß gegen Ondragons Rücken. Mit beiden Händen stemmte er die Tür auf, ging hindurch und blieb auf der anderen Seite vor Überraschung stehen. Vor ihm öffnete sich eine große Halle. Eine Höhle an deren hoher Decke etliche Reihen von Glühbirnen hingen und sie in grelles Licht tauchten. Die Höhle war leer bis auf ein Gewirr aus Kabeln, mannshohen Metallkästen … und einem Dutzend Männer, die ihn mit verschränkten Armen feindselig anstarrten.
„Donnerwetter! Das nenn ich mal einen Empfang!“, sagte Ondragon und blickte angriffslustig zurück. Welcher von denen war wohl der Mann von Hexagone? Ein wenig merkwürdig erschien es ihm schon, dass die Kerle allesamt in traditionelle Derra’as gekleidet waren und Turbane trugen. Sie sahen aus wie die Bewohner der Oase. Langsam drehte Ondragon sich im Kreis und sah jedem der dunkelhäutigen Männer ins Gesicht, aber keiner erweckte den Eindruck, als käme er aus dem Büro eines Energiekonzerns in Paris. Dennoch spürte er, dass etwas Besonderes an den Herren war. Er vollendete seine Drehung und wagte es schließlich, seinem Widersacher ins Auge zu blicken.
Clandestin LeNoire wirkte ganz anders als bei ihrer ersten Begegnung. Nicht ganz so bedrohlich und viel kleiner. Wie die anderen trug er ein hellblaues Gewand mit weißem Turban, der sein schmales Gesicht noch dunkler erscheinen ließ. An seinem linken Handgelenk prangte der Armreif, den Ondragon damals schon seltsam gefunden hatte, und in seinen kohlschwarzen Augen glitzerte unverhohlen der Abscheu.
„Machen Sie sich bereit, vor den Schöpfer zu treten!“, sagte Clandestin und zeigte seine strahlend weißen Zähne. Doch es war kein Lächeln. Ondragon bemerkte, dass Clandestins Blick auf etwas in seinem Rücken gerichtet war. Rasch drehte er sich um und sah hinter sich einen der Kerle stehen. Er hielt ein pistolenartiges Gerät in der Hand. Doch bevor Ondragon zurückweichen konnte, setzte der Mann ihm das Gerät wortlos auf die Brust und drückte ab. Ein kurzer Schmerz durchzuckte Ondragon und danach umfing ihn Schwärze.
61. Kapitel
06. Oktober 1899
Colorado Springs am Vormittag
Czito und Philemon schauten auf die vorbeiziehenden Rauchwolken vor den Fenstern. Sie saßen in der Pikes-Peak-Zahnradbahn und fuhren zum Gipfel hinauf. Beide spürten die neugierigen Blicke der anderen Fahrgäste. Das war nicht verwunderlich, gaben sie doch einen seltsamen Anblick ab. Der Serbe war bepackt mit einem Rucksack und einem Metallkasten, auf dem eine von Teslas Kathodenstrahlröhren thronte, und Philemon hielt ein Grammophon auf seinem Schoß fest, den Schalltrichter neben seinem Kopf wie ein großes blütenförmiges Ohr. Heute würde der alles entscheidende Versuch stattfinden. Um Punkt zwölf. Philemon spürte, wie sein Körper schon jetzt vor Aufregung vibrierte.
Gerade mal drei Wochen waren seit dem Brand vergangen. Drei Wochen, in denen sie das Labor wieder aufgebaut und in Betrieb genommen hatten. Die Beschädigungen an dem Gebäude waren nicht allzu groß gewesen und die Apparaturen weitgehend intakt geblieben. Den Rest hatten Czito, Löwenstein und Philemon mit unermüdlichem Fleiß wieder repariert. Sie alle waren sich einig darüber, dass sie ihre Arbeit nach dem feigen Anschlag nun erst recht fortsetzen wollten. Sie würden den Bewohnern von Colorado Springs zeigen, dass sie sich nicht so leicht einschüchtern ließen und auch den Pinkertons, oder wer auch immer das Labor in Brand gesetzt hatte. Die gemeinsamen Stunden des Wiederaufbaus hatte die drei Assistenten noch mehr zusammengeschweißt. So sehr, dass sie jetzt nur einen Blick austauschen mussten, um einander zu verstehen. Das erfüllte Philemon mit Stolz. Endlich war er im engsten Kreis von Teslas Vertrauten angekommen, endlich akzeptierten sie ihn als einen der ihren.
Er schaute aus dem Fenster auf die karge Berglandschaft. In dunklen Schwanden wehte der Qualm der Lok über sie hinweg und löste sich weiter hinten auf. Die Sonne schien, doch es war empfindlich kalt geworden. Je näher sie dem Gipfel kamen, desto mehr sank die Temperatur.
Als sie endlich oben ankamen, ließen sie die Bergstation mit den normalen Tagesgästen hinter sich und marschierten mit ihrer
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