Ondragon: Nullpunkt: Mystery-Thriller (German Edition)
Schlimmste, für ihn war es unerträglich, miterlebt zu haben, wie Nikola Tesla, der große Magier der Elektrik, am Ende zu einem alten und verrückten Narren gemacht worden war, der einsam in seinem Zimmer hockte und nur noch seinen wirren Fantasien nachhing.
Philemon wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Dann schob er sich die dicke Brille auf die Nase und setzte seinen Bleistift auf das Papier. Es gab noch so Vieles, das er zu erzählen hatte.
„Wir waren damals in Colorado Springs so nahe dran gewesen. So nahe dran, die Welt zu verändern. Doch die Stadt hatte uns schlussendlich nicht mehr länger geduldet. Die Pinkertons, zu denen, wie ich später herausfand, auch jener gewisse Joe Herkimer zählte, hatten ganze Arbeit geleistet. Sie waren ganz und gar nicht abgereist, wie es mir der durchtriebene Telegraphist berichtet hatte, sondern schlicht in ein anderes Hotel gewechselt, von wo aus sie ihr perfides Spiel, die Einwohner hinter unserem Rücken gegen uns aufzuhetzen, munter fortgesetzt hatten. Und nachdem uns zu unserem größten Bedauern ein weiteres Experiment misslungen war und dabei das Elektrizitätswerk ungewollt Schaden genommen hatte, waren wir endgültig aus der Stadt gejagt worden. Aber die immerwährenden Pinkertons ließen uns auch in New York nicht in Ruhe. Wir vermochten sie jedoch bald besser zu erkennen und gingen ihnen bestmöglich aus dem Weg. Heute weiß ich, dass es nicht bloß die Olds Motor Car Company gewesen war, die versucht hatte, Dr. Teslas Erfindungen aufzuhalten. Zu jener Zeit gab es noch viele andere aufstrebende Industriezweige, denen seine Forschungen ein Dorn im Auge gewesen waren. Die Kupferwerke zum Beispiel, welche Kabel für Stromleitungen produzierten, oder die großen Automobilfabrikanten, die ihre Modelle gerade mit Verbrennungsmotoren ausgestattet hatten und Teslas Elektromotoren fürchteten wie der Teufel das Weihwasser! Sie alle waren verblendet und hatten nur ihren eigenen kurzfristigen Gewinn im Auge, nicht jedoch das Wohl der gesamten Welt.
Aber kommen wir zurück zu Dr. Tesla. Er schien das Scheitern in Colorado Springs zwar zu bedauern, aber ihm blieb nichts anderes übrig, als mit den gewonnenen Erkenntnissen nach New York zurückzukehren. Immerhin umfassten diese von ihm unter dem Namen ‚Colorado Springs Notes‘ bekanntgewordenen Aufzeichnungen über 500 handgeschriebene Seiten und 200 Zeichnungen … und natürlich auch jenes kleine Notizbuch, das er nie aus der Hand gab.
Zu meiner großen Freude durfte ich in Teslas Diensten verbleiben und ihm in seinem New Yorker Labor weiterhin assistieren, so wie Fritz Löwenstein, der später Vizepräsident des Institute of Radio Engineers wurde, und Kolman Czito, den es 1926 bedauerlicherweise nach einer schweren Krankheit dahinraffte. Am Ende blieb ich Teslas einziger Vertrauter. Ich und Georg Scherff, sein Buchhalter. Es war nicht leicht, mitansehen zu müssen, wie der Doktor, von seinen Ideen getrieben, weiterhin durch Höhen und Tiefen schritt. Wie ihn die Leute auf den Straßen mal feierten, mal hinter seinem Rücken verspotteten. Der Doktor selbst jedoch stand alle Zeit über den Dingen. Ihn interessierte nur seine Arbeit. Und wäre die Welt damals offener für seine Visionen gewesen, wäre sie jetzt sicherlich eine andere.“
Philemon blickte kurz auf und kaute nachdenklich auf dem Bleistift. Auch darin hatte Tesla recht behalten, dachte er. Seine Erfindungen waren so bahnbrechend gewesen, dass die Menschen regelrecht Angst davor hatten. Und ängstliche Menschen würden die Welt niemals verändern.
Er sah wieder auf das Papier und schrieb weiter.
„Nachdem wir um 1900 herum die Arbeiten von Colorado Springs in New York fortsetzten, gelang es Dr. Tesla, einen Investor für sein geplantes Weltensystem zu finden. Mit der finanzstarken Unterstützung von H. P. Morgan kehrte die Hoffnung zurück, unsere Arbeit zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Bereits 1901 begannen wir mit der Errichtung des Wardenclyffe Towers auf Long Island. Der Turm, dessen Zeichnung ich damals in Teslas besonderem Notizbuch gesehen hatte, war ein prächtiges Bauwerk von außerordentlicher Eleganz und Funktionalität und Dr. Teslas ganze Leidenschaft. Der Doktor versprach seinem Investor ein Hochleistungs-Radiosystem zur Übertragung von Ton und Bild, jedoch kannten nur Tesla und ich seine eigentliche Absicht.
Als dann aber Marconi den Wettlauf um die erste transatlantische Übertragung gewann und als Erster
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